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Gast
- #1
Eins vorweg: ich habe 10 Jahre damit verbracht, obige Tatsache 1) nicht ganz zu verstehen und 2) zu leugnen oder noch eher einfach zu ignorieren. In den letzten Wochen hat aber irgendwas in meinem Kopf "geklickt" und ich fange so langsam an, diesen Teil von mir zu akzeptieren. Daher war es mir ein Bedürfnis, ein paar Gedanken zu dem Thema zu sammeln und aufzuschreiben. Geoutet bin ich noch lange nicht, aber ich dachte, das Ganze ist in einem Sexforum sowieso schon so ein alter Hut, dass das hier eh keinen interessiert - welch großartiger Ort also, um wenigstens ein bisschen outen zu üben.
Kurz gesagt: die Anzeichen, dass ich nicht heterosexuell bin, waren quasi seit Beginn der Pubertät da. Ich wusste allerdings nicht wirklich etwas von der Existenz von "Bisexualität"; man hatte mir nur was von "entweder hetero- oder homosexuell" erzählt. Als ich mich das erste Mal in ein Mädel verknallt habe (das war auch tatsächlich das erste Mal, dass ich überhaupt in irgendjemanden verknallt war), dachte ich also logischerweise, dass ich wohl lesbisch sein müsste. Damals war ich elf Jahre alt und ziemlich überfordert mit dieser Annahme - ich hatte keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte oder was das bedeutete. Es war mir irgendwie ziemlich peinlich und unangenehm, weswegen ich einfach niemandem davon erzählt habe und es ein Stück weit auch irgendwo geleugnet habe.
Tja, und etwa ein Jahr später verknallte ich mich dann heftig in einen Typen. Heftiger als in das Mädchen zuvor. Das war natürlich irgendwie verwirrend, weil ich ja bis dahin davon ausgegangen war, dass man entweder straight oder gay sein konnte, aber es schien auf einmal so, als wäre ich beides? Ich fing dann an, zu googlen (danke, 21. Jahrhundert, dass ich in meiner verwirrenden Zeit der Adoleszenz diese Möglichkeit hatte), und stieß auf eine Seite, die erklärte, dass man während der Pubertät häufig zunächst gleichgeschlechtliche Anziehung verspüre und diese Tatsache ein ganz normales Phänomen sei. Mit der eigentlichen Sexualität müsse das nichts zu tun haben. Weil ich für den Typen "intensivere" Gefühle hatte als für das Mädel, ging ich dann davon aus, doch hetero zu sein und war gewissermaßen erleichtert, dass ich mich nicht mit den Schwierigkeiten eines Coming-Outs beschäftigen musste.
Man ahnt es vielleicht: In diesem Hin und Her ging es eine ganze Zeit lang weiter. Ich weiß nicht, wie oft ich mich gefragt habe, ob ich lesbisch bin, nur um wieder zu denken "ich bin mir ziemlich sicher, dass lesbische Frauen sich nicht auf diese Art und Weise zu Typen hingezogen fühlen." Das alles war unglaublich verwirrend. In dieser Zeit hatte ich auch irgendwann etwas von der Existenz von solch mythischen Dingen wie Bisexualität gelernt. Irgendwie war aber dieses "entweder, oder" Schema noch zu sehr in meinem Kopf verankert. Zusätzlich dazu kamen mir recht häufig im Zusammenhang mit Bisexualität Aussagen zu Ohr, die beispielsweise folgendes enthielten: "nicht entschieden"; "entscheiden sich irgendwann eigentlich alle für eine Seite"; "betrügen häufiger"; "wollen Aufmerksamkeit"; "können sich nicht eingestehen, dass sie gay sind". Bisexuell waren nur die, die nochmal "einen draufsetzen mussten", die, die sich nicht auf einer klaren, binären, "entweder-oder-Skala" einordnen konnten. Das alles führte dazu, dass ich nie ernsthaft dachte, dass solche Dinge auf mich zutreffen könnten - ich wollte niemand sein, der untreuer als andere Menschen ist, ich wollte nicht mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen - und, so dachte ich mir, wenn sich "am Ende eh alle für eine Seite entscheiden", wäre diese Orientierung ja sowieso immer nur etwas temporäres, irgendwas, was man unweigerlich irgendwann wieder ablegen muss.
Diese Verwirrung führte dazu, dass ich abgesehen von ein paar angetrunkenen Partyknutschereien lange nicht mal die Anbahnung einer Beziehung oder auch nur einer längeren Affäre oder ähnlichem hatte.
Irgendwann kam dann der Tag, an dem ich das Glück hatte, dass meine Anziehung zu einer Person und meine Gefühle zu einer Person erwidert wurden. Es handelte sich um einen Mann namens N. Und spätestens, als ich mit diesem Mann geschlafen hatte, war ich mir dann sicher, hetero zu sein. Ich dachte mir: "jemand, der nicht auf Männer steht, kann das gar nicht so toll gefunden haben, wie ich das gerade toll gefunden habe". Und damit war die Sache für mich erledigt. Endlich angekommen - juhu! Ich war damals immerhin "schon" 18 Jahre alt.
Als die Sache mit N. zu Ende war, datete ich logischerweise weiterhin ausschließlich Männer. Halt, was heterosexuelle Frauen so natürlicherweise tun, wenn sie auf Partnersuche sind. An Frauen dachte ich kaum noch, abgesehen von dem ein oder anderen lesbischen Porno oder Fantasien beim Masturbieren. Das war aber nicht genug, um mein neu gefestigtes heterosexuelles Selbstbild wieder irgendwie ins Wanken zu bringen. Ich war so froh, mich scheinbar in dieser Hinsicht gefunden zu haben, dass ich ignorierte, dass ich für manche weiblichen Bekannten/Freunde ab und zu "etwas mehr" fühlte. Es war leicht zu ignorieren, weil sich meine Anziehung zu Frauen irgendwie ganz anders anfühlt als die zu Männern. Beides ist definitiv Anziehung, aber eben irgendwie anders. Am ehesten bezeichnete ich mich als "hetero, mit ein paar heteroflexiblen Tendenzen".
Und klar, ich mochte und mag es weiterhin, Männer zu daten. Haarige Beine und Arme sind toll. Tiefe Stimmen und breite Schultern und Bärte sind toll. Penisse sind auch toll. ( )
Momentan lerne ich einen Mann kennen, den ich mal salopp als "genau mein Ding" beschreiben würde; alles, was ich mir von einem Mann erhoffen könnte.
Woher jetzt also, nach 10 Jahren Unsicherheit und Hin und Her und Verwirrung und Ignorieren und scheinbarer Selbstfindung und mehr Ignorieren, so plötzlich die Erkenntnis, dass Männer nicht die einzigen sind, die mich in sexueller und romantischer Hinsicht ansprechen?
Vor ein paar Wochen stieß ich im Internet zufällig auf ein Bild. Es zeigte zwei Frauen, relativ offensichtlich in einer romantischen Beziehung, kuschelnd und sich küssend im Schlafanzug auf einem Sofa. Und ich dachte in diesem Moment einfach nur: "wow, das würde ich irgendwie auch so nehmen, wie es da ist. Meine Traumfrau und ich - das wär genauso gut wie mein Traummann und ich." Und da hat es dann irgendwo so langsam "Klick" gemacht.
Rückblickend war ich ewig lang total voll mit etwas, was man auf Englisch "internalized biphobia" nennt. Dabei ging es vor allem um meine eigene Sexualität - ich hatte immer das Gefühl, dass ich mich irgendwann entscheiden müsste - aber ich wollte mich eigentlich tief drin nie "entscheiden". In den letzten Wochen habe ich erst so richtig begriffen, dass ich mich nicht entscheiden muss. Wenn ich sage: "Ich bin bi", ist das nichts Temporäres, nichts, was ich auf dem Weg zur sexuellen Selbstfindung eine Zeit lang von mir behaupte. Es ist, endlich, und dieses Mal wirklich, das Ziel einer langen Findungsphase und ich bin ein bisschen stolz, endlich angekommen zu sein.
Ich habe lange Zeit gelernt, dass es für andere Leute okay ist, gay/bi zu sein - nur nicht für mich persönlich. Das war etwas, was mich lange Zeit geängstigt hat und sicherlich ein Grund dafür war, weswegen ich mit 18 sehr freudig sofort nach dem ersten Mal mit einem Kerl die heterosexuelle Identität angenommen habe - und sicher ist das ein Punkt, in dem ich noch weiter "umdenken" und mich selbst noch mehr akzeptieren muss, bevor ich mich irgendwo "im echten Leben" outen kann. Aber ich denke, dass ich da auf einem guten Weg bin.
Ich glaube, ich habe das hier ein Stück weit auch deswegen geschrieben, weil mir so etwas geholfen hätte. Ich selbst habe Aussagen wie "am Ende entscheiden sich alle für eine Seite" viel zu lange für bare Münze genommen und selbst irgendwo so gedacht (wie gesagt, "internalized biphobia"). Wenn man mir Bisexualität auf andere Weise vermittelt hätte, hätte mir das bestimmt einiges an Unsicherheit, Selbstzweifeln, Angst und Kummer erspart.
Naja, long story short: Es wird mir, glaube ich, von Tag zu Tag immer ein bisschen egaler, was andere Leute von mir denken. Also, wem dieser Text hier nicht gefällt, der kann gerne "haten" - mir solls egal sein. Ich ändere meine Tindereinstellungen währenddessen von "Männer" auf "alle" und freue mich darauf, was 2020 mir so bringt.
Peace out.
Kurz gesagt: die Anzeichen, dass ich nicht heterosexuell bin, waren quasi seit Beginn der Pubertät da. Ich wusste allerdings nicht wirklich etwas von der Existenz von "Bisexualität"; man hatte mir nur was von "entweder hetero- oder homosexuell" erzählt. Als ich mich das erste Mal in ein Mädel verknallt habe (das war auch tatsächlich das erste Mal, dass ich überhaupt in irgendjemanden verknallt war), dachte ich also logischerweise, dass ich wohl lesbisch sein müsste. Damals war ich elf Jahre alt und ziemlich überfordert mit dieser Annahme - ich hatte keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte oder was das bedeutete. Es war mir irgendwie ziemlich peinlich und unangenehm, weswegen ich einfach niemandem davon erzählt habe und es ein Stück weit auch irgendwo geleugnet habe.
Tja, und etwa ein Jahr später verknallte ich mich dann heftig in einen Typen. Heftiger als in das Mädchen zuvor. Das war natürlich irgendwie verwirrend, weil ich ja bis dahin davon ausgegangen war, dass man entweder straight oder gay sein konnte, aber es schien auf einmal so, als wäre ich beides? Ich fing dann an, zu googlen (danke, 21. Jahrhundert, dass ich in meiner verwirrenden Zeit der Adoleszenz diese Möglichkeit hatte), und stieß auf eine Seite, die erklärte, dass man während der Pubertät häufig zunächst gleichgeschlechtliche Anziehung verspüre und diese Tatsache ein ganz normales Phänomen sei. Mit der eigentlichen Sexualität müsse das nichts zu tun haben. Weil ich für den Typen "intensivere" Gefühle hatte als für das Mädel, ging ich dann davon aus, doch hetero zu sein und war gewissermaßen erleichtert, dass ich mich nicht mit den Schwierigkeiten eines Coming-Outs beschäftigen musste.
Man ahnt es vielleicht: In diesem Hin und Her ging es eine ganze Zeit lang weiter. Ich weiß nicht, wie oft ich mich gefragt habe, ob ich lesbisch bin, nur um wieder zu denken "ich bin mir ziemlich sicher, dass lesbische Frauen sich nicht auf diese Art und Weise zu Typen hingezogen fühlen." Das alles war unglaublich verwirrend. In dieser Zeit hatte ich auch irgendwann etwas von der Existenz von solch mythischen Dingen wie Bisexualität gelernt. Irgendwie war aber dieses "entweder, oder" Schema noch zu sehr in meinem Kopf verankert. Zusätzlich dazu kamen mir recht häufig im Zusammenhang mit Bisexualität Aussagen zu Ohr, die beispielsweise folgendes enthielten: "nicht entschieden"; "entscheiden sich irgendwann eigentlich alle für eine Seite"; "betrügen häufiger"; "wollen Aufmerksamkeit"; "können sich nicht eingestehen, dass sie gay sind". Bisexuell waren nur die, die nochmal "einen draufsetzen mussten", die, die sich nicht auf einer klaren, binären, "entweder-oder-Skala" einordnen konnten. Das alles führte dazu, dass ich nie ernsthaft dachte, dass solche Dinge auf mich zutreffen könnten - ich wollte niemand sein, der untreuer als andere Menschen ist, ich wollte nicht mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen - und, so dachte ich mir, wenn sich "am Ende eh alle für eine Seite entscheiden", wäre diese Orientierung ja sowieso immer nur etwas temporäres, irgendwas, was man unweigerlich irgendwann wieder ablegen muss.
Diese Verwirrung führte dazu, dass ich abgesehen von ein paar angetrunkenen Partyknutschereien lange nicht mal die Anbahnung einer Beziehung oder auch nur einer längeren Affäre oder ähnlichem hatte.
Irgendwann kam dann der Tag, an dem ich das Glück hatte, dass meine Anziehung zu einer Person und meine Gefühle zu einer Person erwidert wurden. Es handelte sich um einen Mann namens N. Und spätestens, als ich mit diesem Mann geschlafen hatte, war ich mir dann sicher, hetero zu sein. Ich dachte mir: "jemand, der nicht auf Männer steht, kann das gar nicht so toll gefunden haben, wie ich das gerade toll gefunden habe". Und damit war die Sache für mich erledigt. Endlich angekommen - juhu! Ich war damals immerhin "schon" 18 Jahre alt.
Als die Sache mit N. zu Ende war, datete ich logischerweise weiterhin ausschließlich Männer. Halt, was heterosexuelle Frauen so natürlicherweise tun, wenn sie auf Partnersuche sind. An Frauen dachte ich kaum noch, abgesehen von dem ein oder anderen lesbischen Porno oder Fantasien beim Masturbieren. Das war aber nicht genug, um mein neu gefestigtes heterosexuelles Selbstbild wieder irgendwie ins Wanken zu bringen. Ich war so froh, mich scheinbar in dieser Hinsicht gefunden zu haben, dass ich ignorierte, dass ich für manche weiblichen Bekannten/Freunde ab und zu "etwas mehr" fühlte. Es war leicht zu ignorieren, weil sich meine Anziehung zu Frauen irgendwie ganz anders anfühlt als die zu Männern. Beides ist definitiv Anziehung, aber eben irgendwie anders. Am ehesten bezeichnete ich mich als "hetero, mit ein paar heteroflexiblen Tendenzen".
Und klar, ich mochte und mag es weiterhin, Männer zu daten. Haarige Beine und Arme sind toll. Tiefe Stimmen und breite Schultern und Bärte sind toll. Penisse sind auch toll. ( )
Momentan lerne ich einen Mann kennen, den ich mal salopp als "genau mein Ding" beschreiben würde; alles, was ich mir von einem Mann erhoffen könnte.
Woher jetzt also, nach 10 Jahren Unsicherheit und Hin und Her und Verwirrung und Ignorieren und scheinbarer Selbstfindung und mehr Ignorieren, so plötzlich die Erkenntnis, dass Männer nicht die einzigen sind, die mich in sexueller und romantischer Hinsicht ansprechen?
Vor ein paar Wochen stieß ich im Internet zufällig auf ein Bild. Es zeigte zwei Frauen, relativ offensichtlich in einer romantischen Beziehung, kuschelnd und sich küssend im Schlafanzug auf einem Sofa. Und ich dachte in diesem Moment einfach nur: "wow, das würde ich irgendwie auch so nehmen, wie es da ist. Meine Traumfrau und ich - das wär genauso gut wie mein Traummann und ich." Und da hat es dann irgendwo so langsam "Klick" gemacht.
Rückblickend war ich ewig lang total voll mit etwas, was man auf Englisch "internalized biphobia" nennt. Dabei ging es vor allem um meine eigene Sexualität - ich hatte immer das Gefühl, dass ich mich irgendwann entscheiden müsste - aber ich wollte mich eigentlich tief drin nie "entscheiden". In den letzten Wochen habe ich erst so richtig begriffen, dass ich mich nicht entscheiden muss. Wenn ich sage: "Ich bin bi", ist das nichts Temporäres, nichts, was ich auf dem Weg zur sexuellen Selbstfindung eine Zeit lang von mir behaupte. Es ist, endlich, und dieses Mal wirklich, das Ziel einer langen Findungsphase und ich bin ein bisschen stolz, endlich angekommen zu sein.
Ich habe lange Zeit gelernt, dass es für andere Leute okay ist, gay/bi zu sein - nur nicht für mich persönlich. Das war etwas, was mich lange Zeit geängstigt hat und sicherlich ein Grund dafür war, weswegen ich mit 18 sehr freudig sofort nach dem ersten Mal mit einem Kerl die heterosexuelle Identität angenommen habe - und sicher ist das ein Punkt, in dem ich noch weiter "umdenken" und mich selbst noch mehr akzeptieren muss, bevor ich mich irgendwo "im echten Leben" outen kann. Aber ich denke, dass ich da auf einem guten Weg bin.
Ich glaube, ich habe das hier ein Stück weit auch deswegen geschrieben, weil mir so etwas geholfen hätte. Ich selbst habe Aussagen wie "am Ende entscheiden sich alle für eine Seite" viel zu lange für bare Münze genommen und selbst irgendwo so gedacht (wie gesagt, "internalized biphobia"). Wenn man mir Bisexualität auf andere Weise vermittelt hätte, hätte mir das bestimmt einiges an Unsicherheit, Selbstzweifeln, Angst und Kummer erspart.
Naja, long story short: Es wird mir, glaube ich, von Tag zu Tag immer ein bisschen egaler, was andere Leute von mir denken. Also, wem dieser Text hier nicht gefällt, der kann gerne "haten" - mir solls egal sein. Ich ändere meine Tindereinstellungen währenddessen von "Männer" auf "alle" und freue mich darauf, was 2020 mir so bringt.
Peace out.
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