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Wie groß ist das soziale Stigma, wenn jemand sagt, dass er X oder Y nicht schafft?

Funksoulbrother
Benutzer58558  Meistens hier zu finden
  • #1
Wir leben in einer Gesellschaft, die sich selbst zuschreibt, eine "Leistungsgesellschaft" zu sein (was so übrigens nicht stimmt, aber dennoch dieser Vorstellung nur wenig von ihrer ideologischen Wirksamkeit nimmt).

Was bedeutet es eigentlich, wenn man sich in dieser Gesellschaft in bestimmten Situationen dazu bekennt: "Was hier und jetzt in diesem Fall von mir gefordert ist, das bin ich nicht zu leisten in der Lage. Damit bin ich überfordert."?

Wird der "Nicht-Leistungsfähige" sozial stigmatisiert? Ja? Nein? Wenn ja, in welchen Zusammenhängen und in welchen Formen? Und aus welchen Gründen? Ist es tendenziell "ehrenrührig", zugeben zu müssen, wenn einem etwas zu viel ist? Ist es gegebenenfalls eher unser "innerer Kritiker", der uns für unsere mangelnde Leistungsfähigkeit kasteit - und weniger die Allgemeinheit bzw. bestimmte Vertreter derselben (Eltern, Ehepartner, Vorgesetzte, Kollegen ... oder wer auch immer)?

Ich selbst spüre momentan in verschiedenen Bereichen deutliche Anzeichen einer sich möglicherweise verstetigenden Überforderung. Daher rührt mein Interesse an dieser Frage - und allen individuellen Einschätzungen dazu.
 
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Yurriko
Benutzer174969  (31) Sehr bekannt hier
  • #2
Also bei der Arbeit sage ich schon, wenn ich denke, ich schaff etwas nicht. In der Regel kommt entweder: "Ja ist eh klar, dir fehlt die Erfahrung" oder "Wir machen das dann zusammen" oder "Ne, du hast schon gezeigt, dass du das schaffen kannst, probier es einfach."

Irgendwas in der Richtung eben. In der Regel ist mein Team deutlich verzeihender als ich selber. Ich hasse es, etwas nicht hinzubekommen :whoot:Und ja, dann setzt ich mich ran und versuche es besser zu machen.

Stigmatisiert wurde ich bisher noch nicht. Ich könnte das auch nicht wirklich ernst nehmen. Ich mein, ich bin nicht allwissend, also ist es logisch, dass ich manches nicht kann oder manchmal auch Fehler mache. Dann steh ich dazu, lern draus und beim nächsten Mal wirds besser.

Wenn bin ich selber derjenige, der sich fertig macht. Von meinen Umfeld krieg ich in der Regel ein deutlich besseres Feedback als von mir selber. Ich seh allerdings immer die Fehler und die Möglichkeiten, wie man es hätte besser machen können. :whistle:
 
VersatileGuy
Benutzer162572  dauerhaft gesperrt
  • #3
Ich verstehe nicht auf was du raus willst. Wer wen wie stigmatisiert halte ich für extrem individuell. Leistungsgesellschaft muss nicht sein. Man kann sein Leben auch ohne maximalen Leistungsdruck bestreiten.

Was bedeutet es eigentlich, wenn man sich in dieser Gesellschaft in bestimmten Situationen dazu bekennt: "Was hier und jetzt in diesem Fall von mir gefordert ist, das bin ich nicht zu leisten in der Lage. Damit bin ich überfordert."?
Was das bedeutet ist keine Frage die die Gesellschaft betrifft, sondern das Individuum. Wenn meine Cousine vor ihrer vierten theoretischen Führerscheinprüfung sagt "das schaffe ich nicht" dann ist das gänzlich anders zu verstehen, als wenn gerade ein Möbelpacker einen Schrank versucht allein anzuheben und einen Kollegen dazu braucht.

In diesem Sinne: Was meinst du? Ist deine Frage nicht eher "was bedeutet es für mich, wenn ich etwas nicht schaffe was ich mir vorgenommen habe"?
 
P
Benutzer3277  Beiträge füllen Bücher
  • #4
Was bedeutet es eigentlich, wenn man sich in dieser Gesellschaft in bestimmten Situationen dazu bekennt: "Was hier und jetzt in diesem Fall von mir gefordert ist, das bin ich nicht zu leisten in der Lage. Damit bin ich überfordert."?

Ich bin ein künstlerischer Typ, der immer wieder Probleme hat, moderne (digitale) Technik zu verstehen. Das ganze angeblich "kinderleichte" installieren, konfigurieren, updaten usw. ist mir ein Graus. Immer wieder komme ich nicht klar damit, Kennwörter, Passwörter usw. einzugeben oder Bedienungsanleitungen zu verstehen, es kommen die üblichen Fehlermeldungen. Ständig muss ich Freunde bitten, mir dabei zu helfen. Im Job hab ich damit Probleme ("Das ist doch ganz einfach"), was ich aber durch andere Fähigkeiten (malen, zeichnen, schreiben, organisieren usw.) ausgleichen kann.
Früher habe ich das Problem verschwiegen und so getan als kann ich das. Heute gehe ich offen damit um, z.B. habe ich ein paar satirische Kurzgeschichten geschrieben, wie man an Technik verzweifeln kann, und die sind bei Lesungen besonders beliebt.
 
hts87
Benutzer173280  (36) Öfter im Forum
  • #5
Ich denke es hat meist immer Vorteile von selbst zu sagen, ich kann das nicht, wenn man merkt das man es nicht so richtig hinbekommt. Im Zweifel lasse ich mir lieber helfen und bekomme dadurch ein besseres Gefühl für die Thematik, als das ich es verschweige und im Nachhinein denke oder es rauskommt, das es aufgrund meiner Verschwiegenheit zu Problemen kommt oder sonst was geschieht.

Ich denke da zum Beispiel an meine Arbeit. Ich bin jetzt seit kurzem stellvertretende Filialleiterin. Das habe ich vorher noch nie gemacht, entsprechend fehlen mir die Erfahrungen und entsprechend muss ich auch öfter die Kollegen, die noch länger da sind, um Hilfe bitten. Natürlich ist es mir im ersten Moment unangenehm, weil ich ja eigentlich das letzte Wort haben muss, wenn der Chef nicht da ist, aber gleichzeitig habe ich auch eine große Verantwortung.
Aber dann arbeiten wir als ganzes Team zusammen und finden in der Gruppe eine gute Lösung. Das ist immer besser, als von selbst mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Und stigmatisiert wurde ich diesbezüglich auch nie. Ganz im Gegenteil. Es wird positiv aufgenommen.
 
Sklaen
Benutzer175418  (42) Verbringt hier viel Zeit
  • #6
Bin mir auch nicht sicher ob ich 100% ig verstehe was du meinst. Aber ich gebe mal meinen Senf dazu wie ich es denke.

Ich arbeite schon seit langer Zeit nur noch auf 450 Euro Basis. Das hat mehrere Gründe. Ein Hauptgrund ist das ich es nicht schaffen würde mehr zu arbeiten. Gesundheitlich. Ich bin sehr schnell erschöpft und auch meine geistige Leistungsfähigkeit lässt schnell nach.
Ich habe das Gefühl das dies sehr oft als Ausrede oder Faulheit angesehen wird.
Als Frau hat man heute einfach einen Job, am besten ganztags, zu machen und trotzdem Haushalt und Kinder unter einen Hut zu bekommen.
Wenn ich aber offen sage, ich schaffe das nicht, ernte ich schiefe Blicke.
Was wiederum dazu führt das ich es eher unausgesprochen lasse oder es mir manchmal sogar unangenehm ist es zu sagen.
Man sieht mir weder meine Krankheit an, noch wie ich mich fühle. Das macht es leider nur umso schwieriger.
Eigentlich könnte es mir ja völlig egal sein was andere denken. Mein Mann verdient genug Geld. Wir können locker unser Haus bezahlen und trotzdem regelmäßig in Urlaub fahren. Uns fehlt es an nichts.
Und trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen das ich nicht die Leistung erbringen kann die heute als normal gilt.
 
G
Benutzer Gast
  • #7
Wir leben in einer Gesellschaft, die sich selbst zuschreibt, eine "Leistungsgesellschaft" zu sein (was so übrigens nicht stimmt, aber dennoch dieser Vorstellung nur wenig von ihrer ideologischen Wirksamkeit nimmt).

Was bedeutet es eigentlich, wenn man sich in dieser Gesellschaft in bestimmten Situationen dazu bekennt: "Was hier und jetzt in diesem Fall von mir gefordert ist, das bin ich nicht zu leisten in der Lage. Damit bin ich überfordert."?

Wird der "Nicht-Leistungsfähige" sozial stigmatisiert? Ja? Nein? Wenn ja, in welchen Zusammenhängen und in welchen Formen? Und aus welchen Gründen? Ist es tendenziell "ehrenrührig", zugeben zu müssen, wenn einem etwas zu viel ist? Ist es gegebenenfalls eher unser "innerer Kritiker", der uns für unsere mangelnde Leistungsfähigkeit kasteit - und weniger die Allgemeinheit bzw. bestimmte Vertreter derselben (Eltern, Ehepartner, Vorgesetzte, Kollegen ... oder wer auch immer)?

Ich selbst spüre momentan in verschiedenen Bereichen deutliche Anzeichen einer sich möglicherweise verstetigenden Überforderung. Daher rührt mein Interesse an dieser Frage - und allen individuellen Einschätzungen dazu.

interessante fragestellung.

"die gesellschaft" schreibt sich das ja gar nicht zu ...
das kommt eher wirtschafts-/politikseitig (und bedenke: "die, die wir wählen, regieren uns nicht - und die, die uns regieren, wählen wir nicht") - also von jenen, die interessiert daran sind, dass wir das absolute maximum aus uns herauspressen, und das im idealfall auch noch für normal halten (und sogar im privatbereich vielfach einem selbstoptimierungswahn unterliegen) und "sozial kontrollieren".

können wir dann nicht mehr, und schlittern vielleicht sogar in die zone eines (völlig) ausgebranntseins, dann sollen wir das (gesellschaftlich) als persönliches versagen sehen - und dankbar dafür sein, dass das wenigstens (wenn man glück hat) als krankheit gilt.

nein, daran ist nichts gut und gesund. nein, "immer schneller, höher, weiter" braucht die welt nicht. egal, wie sehr man uns das auch einzureden versucht. und nein: in so einer gesellschaftsatmosphäre aufzuwachsen ist weder gut noch gesund. (und ich will jetzt gar nicht davon anfangen, was all das insbesondere für frauen bedeutet.)

ich habe die erfahrung gemacht, dass auch erleichtert eingestimmt wird, wenn man ein "zuviel" (an anforderungen) thematisiert. oder sich manchem "wahn" (z.b. die finanzielle grösse von geburtstagsgeschenken bei diesen freundesgeburtstagsfeiern) entzieht und das auch dementsprechend anspricht.

außerdem: "sprache schafft realität - bzw. bildet diese ab" - also sehr bewusst formulieren in diesen dingen!!!
also nicht "mir ist das zu viel" sondern "das ist zu viel", oder statt "das schaff ich heut nicht mehr" ein "es war heut schon genug" ...

und ich betone auch zunehmend häufig, dass wir alle nur 100% zeit und 100% energie haben.

das halte ich auch für sehr wichtig (gerade im berufsleben): einen guten überblick haben, was von den anforderungen und dem herrschenden druck wo herkommt und wo hingehört. und die dinge dann auch in der form benennen / thematisieren - und sich ihnen gegebenenfalls soweit möglich auch entziehen.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
banane0815
Benutzer44981  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #8
Es ist doch klar, dass Menschen in verschiedenen Bereichen unterschiedlich belastbar sind, über unterschiedliche Fähigkeiten verfügen, usw. Und somit ist es auch klar, dass Max Dinge kann, die Frieda überfordern, während auch Frieda Dinge kann, die Hans-Otto überfordern, usw.
Ebenso ist klar, dass Menschen in belastende Situationen kommen können, durch die sie auch Dinge nicht mehr so gut schaffen, die sie ohne diese Belastung schaffen würden.

Und ich finde es absolut sinnvoll, solche Dinge offen zu kommunizieren, um Problemen, Missverständnissen, falschen Erwartungen und darauf basierenden Enttäuschungen vorzubeugen. - Egal, in welchem Bereich.

Erst vor Kurzem hatte ich ein sehr offenes und ehrliches Gespräch mit einer Freundin über solche persönliche Grenzen, über Dinge, die wir als belastend empfinden, usw. Dieses Gespräch hat unsere Freundschaft meiner Meinung nach auf ein ganz neues Level gebracht, da wir uns viel besser verstehen, da weniger Missverständnisse entstehen und da wir zukünftig besser aufeinander eingehen können.

Und auch bei der Arbeit finde ich es gut, wenn solche Dinge offen kommuniziert werden. So kann man dann wenigstens frühzeitig schauen, wie man die anstehenden Aufgaben so aufteilt, dass man sie schafft. Was bringt es mir, wenn mein Kollege sagt "Klar. Das schaff ich schon.", wenn die Sache im Desaster endet, das ich mit vielen Überstunden aufräumen darf, um den Liefertermin doch noch irgendwie zu halten, oder dass immer wieder Termine platzen, bis der Kunde abspringt?
Da ist es doch besser, wenn er schon frühzeitig fragt und um Unterstützung bittet, so dass man die Sache gemeinschaftlich irgendwie auf die Reihe bekommt.
Ich habe z.B. eine Kollegin, die mit ihrer Stelle ziemlich überfordert ist. (Ich weiß, dass sie nur eingestellt wurde, weil sich auf die vakante Stelle nur wenige Menschen beworben haben. Und sie war da die Einäugige unter den Blinden.) Es ist schon ziemlich nervig, dass sie ständig bei mir nachfragt und ich ihr auch häufig helfen muss, obwohl es um Dinge geht, für die ich eigentlich nicht direkt zuständig bin. Aber wenn sie es nicht tun würde, wäre es noch viel schlimmer, weil dann viele schief gehen würde und ich dann doch wieder zu den Menschen gehören würde, die den Schlamassel ausbaden müssen.
Und so mache ich ihr auch keine persönlichen Vorwürfe, sondern versuche, die ganze Sache möglichst konstruktiv anzugehen. - Auch wenn mir das nicht immer gelingt und ich schon mal etwas gereizt reagiere, wenn sie in einem ungünstigen Moment mit Dingen ankommt, für die ich gerade keinen Nerv habe. Ich bin eben auch nur ein Mensch und komme dann auch manchmal in solche Situationen, die mich überfordern und aus der Ruhe bringen.
Und auch ich habe mir angewöhnt, möglichst frühzeitig zu sagen, wenn ich irgendwo an meine Grenzen komme. Dann kann man immer noch schauen, wie man die Dinge anders organisiert, um trotzdem ans Ziel zu kommen.
 
A
Benutzer160853  Sehr bekannt hier
  • #9
Gesellschaft interessiert mich nicht. Stigmata kann ich von Menschen bekomme, die ich kenne und mag. Wer aber ist die "Gesellschaft", ein Heer von Namenlosen, die ich im Zweifel doch garnicht kennen will.
Reden hilft, eine Lehre meines Umfalls. Ich hatte mir damals eine Menge Rat von Menschen eingeholt, die mit dem Thema zu tun hatten. Daraus entwickelte sich eine Strategie. Auch im Beruf lässt sich vieles durch reden regeln. Meine Kollegen wissen doch im Zweifel nicht, ob ich überfordert bin.

Ganz plakativ: Ich habe meine Stelle verloren. Diese war erstmal wahnsinnig gut, was viele vielleicht als Niederlage begreifen. Im "Scheitern" steckt aber bereits jetzt auch eine Möglichkeit für Entwicklung. Überforderung hängt bei mir oft mit einem Unwohlsein mit der Gesamtlage zusammen und ist ein Indikator für "Will das nicht".

Am Ende baue ich auf meinen eigenen Werterahmen und Menschen, die wichtig sind.
 
ProximaCentauri
Benutzer32843  (36) Sehr bekannt hier
  • #10
Ich sage auf der Arbeit immer wieder "das kann ich noch nicht". Teilweise bekomme ich dann Support, teilweise wird gefordert, dass ich es trotzdem mache (was ich dann teilweise verweigere), etcc. Man muss halt auch hinstehen können und sagen, was Sache ist, dann ist es im Normalfall nicht so tragisch.
 
Erdbeere1106
Benutzer171033  (37) Sehr bekannt hier
  • #11
Ich habe sehr großen Respekt davor, wenn jemand seine persönlichen Grenzen (er-)kennt, sich eingestehen und diese auch kommunizieren kann. Damit kann ich arbeiten. Das ist für mich anerkennenswert und zugleich hilfreich.
Ich merke aber immer wieder, dass ich regelrecht Ablehnung verspüre, wenn ich jemanden dabei beobachte, der nichts auf die Reihe bekommt, seine Ergebnisse (qualitativ und quantitativ) dabei in keiner Weise reflektiert und sich immer mehr drauf häuft und meint "Ich kann das, ich mach das, ich will das."
Ich meine nicht Leute, die einfach einen hohen Ehrgeiz nach Herausforderungen und einen hohen Workload haben,
sondern Leute, die sich über ihre Aufgaben zu profilieren versuchen, obwohl sie diesen Aufgaben nicht gewachsen sind.
 
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