
Benutzer197010 (46)
Verbringt hier viel Zeit
- #1
Heute:
Försters Liesl und des Jägers Liebespfeil
Eine Novelle aus dem Alpenwald
Von einem, der den Wald lieber hört als durchquert
I.
Hoch oben, wo die Latschen krumm wachsen und die Sonne spät über den Grat schielt, lag das Forsthaus «Hirschruh», halb versteckt unter Zirben und Nebelschwaden. Dort wohnte Liesl, die Tochter des alten Försters Baumgartner – eine Maid wie aus dem Bilderbuch: blondes Haar wie frisch gesenktes Heu, Augen klar wie Quellwasser und eine Zunge, scharf wie ein Rehspieß zur Kirchweih.
Liesl kannte jeden Baum, jeden Wildpfad, jeden Windhauch, der durch die Schluchten zog. Sie war nicht wie die anderen Dirndln aus dem Tal – sie roch nach Harz statt nach Parfüm, und wenn ein Bursch sie ärgern wollte, konnte er sich auf eine Ladung Spott gefasst machen, so scharf wie frisch geschliffenes Hirschfängerstahl.
II.
Eines Morgens, als der Tau noch auf den Farnen hing, trat ein neuer Jäger seinen Dienst an. Gregor hieß er – ein Städter, versetzt in die tiefsten Winkel des Forsts, mit einer Jägerprüfung aus Wien und Schuhen, die aussahen, als gehörten sie mehr in einen Kaffeehauspark als auf Wildwechsel.
Kaum hatte er das Forsthaus betreten, begegnete er Liesl. Sie war gerade dabei, einem streunenden Dachs den Rückweg in die Wildnis zu erklären – mit einem Besen.
„Du bist wohl der Neue?" fragte sie, ohne aufzusehen.
„Gregor Schenk, ehrenamtlich passioniert", sagte er und lächelte.
Liesl musterte ihn von oben bis unten. „Dann pass auf, dass du nicht gleich dem ersten Auerhahn hinterherläufst und im Moor stecken bleibst. Die Vögel hier singen anders, als sie fliegen."
III.
Die Tage vergingen, und Gregor zeigte sich erstaunlich geschickt. Zwar wusste er nichts vom Duft der Fichte bei Regen, doch er konnte hervorragend pfeifen – so gut, dass selbst der alte Auerhahn oberhalb der Klamm zu antworten begann.
Liesl beobachtete ihn – heimlich. Wenn er dachte, sie sei nicht da, übte er Zielschießen mit Pfeil und Bogen. Nicht etwa mit dem Jagdgewehr. „Romantische Jagdtradition", sagte er. Liesl nannte es „pompösen Unfug".
Aber einmal traf er – nicht den Hirsch, sondern ein Herz. Ihres. Es geschah bei Nebel, mitten auf der Jagdkanzel. Sie hatten beide denselben Fuchs erspäht, wollten gleichzeitig anlegen – und statt zu schießen, blickten sie sich an. Lange. Sehr lange.
„Du zielst besser mit den Augen als mit dem Bogen", murmelte Liesl.
Gregor nickte. „Und du triffst ohne Absicht."
IV.
Doch das Glück blieb nicht ungetrübt. Der alte Förster hatte andere Pläne. Für Liesl. Den Sohn des Holzindustriellen aus dem Tal – der hatte Land, Geld und einen Ford Ranger. Gregor hingegen hatte nichts als seine Leidenschaft für Wälder und seine Pfeile – und nicht einmal ein Handy mit Empfang.
„Ein Städter bleibt ein Städter", knurrte Baumgartner.
„Dann soll er halt gehen", sagte Liesl – und tat es.
Mitten in der Nacht packte sie ihre Sachen, hinterließ eine Notiz auf Birkenrinde – „Ich jage mein eigenes Glück" – und verschwand in die Richtung, wo der Fluss sich verliert, hinter der großen Tanne.
V.
Gregor fand sie drei Tage später, bei der Hochalm, wo der Bach wie eine Melodie aus Kindertagen klingt. Sie saß am Feuer, aß Wurzeln und sang ein Lied, das nicht im Radio lief.
„Warum?" fragte er nur.
„Weil du geschossen hast", sagte sie.
„Wohin?"
„In mein Herz."
Er legte sich neben sie. Kein Wort mehr. Der Wald schwieg. Die Nacht auch. Nur ein Käuzchen rief, wie ein alter Dichter, der wusste: Manches trifft tiefer als jedes Gewehr – ein Pfeil aus Sehnsucht, gezielt mit Herz.
ENDE
Moral? Vielleicht dies: Manchmal braucht es keinen Schuss, um zu treffen. Nur einen Blick. Und einen Wald, der zuhört.
Försters Liesl und des Jägers Liebespfeil
Eine Novelle aus dem Alpenwald
Von einem, der den Wald lieber hört als durchquert
I.
Hoch oben, wo die Latschen krumm wachsen und die Sonne spät über den Grat schielt, lag das Forsthaus «Hirschruh», halb versteckt unter Zirben und Nebelschwaden. Dort wohnte Liesl, die Tochter des alten Försters Baumgartner – eine Maid wie aus dem Bilderbuch: blondes Haar wie frisch gesenktes Heu, Augen klar wie Quellwasser und eine Zunge, scharf wie ein Rehspieß zur Kirchweih.
Liesl kannte jeden Baum, jeden Wildpfad, jeden Windhauch, der durch die Schluchten zog. Sie war nicht wie die anderen Dirndln aus dem Tal – sie roch nach Harz statt nach Parfüm, und wenn ein Bursch sie ärgern wollte, konnte er sich auf eine Ladung Spott gefasst machen, so scharf wie frisch geschliffenes Hirschfängerstahl.
II.
Eines Morgens, als der Tau noch auf den Farnen hing, trat ein neuer Jäger seinen Dienst an. Gregor hieß er – ein Städter, versetzt in die tiefsten Winkel des Forsts, mit einer Jägerprüfung aus Wien und Schuhen, die aussahen, als gehörten sie mehr in einen Kaffeehauspark als auf Wildwechsel.
Kaum hatte er das Forsthaus betreten, begegnete er Liesl. Sie war gerade dabei, einem streunenden Dachs den Rückweg in die Wildnis zu erklären – mit einem Besen.
„Du bist wohl der Neue?" fragte sie, ohne aufzusehen.
„Gregor Schenk, ehrenamtlich passioniert", sagte er und lächelte.
Liesl musterte ihn von oben bis unten. „Dann pass auf, dass du nicht gleich dem ersten Auerhahn hinterherläufst und im Moor stecken bleibst. Die Vögel hier singen anders, als sie fliegen."
III.
Die Tage vergingen, und Gregor zeigte sich erstaunlich geschickt. Zwar wusste er nichts vom Duft der Fichte bei Regen, doch er konnte hervorragend pfeifen – so gut, dass selbst der alte Auerhahn oberhalb der Klamm zu antworten begann.
Liesl beobachtete ihn – heimlich. Wenn er dachte, sie sei nicht da, übte er Zielschießen mit Pfeil und Bogen. Nicht etwa mit dem Jagdgewehr. „Romantische Jagdtradition", sagte er. Liesl nannte es „pompösen Unfug".
Aber einmal traf er – nicht den Hirsch, sondern ein Herz. Ihres. Es geschah bei Nebel, mitten auf der Jagdkanzel. Sie hatten beide denselben Fuchs erspäht, wollten gleichzeitig anlegen – und statt zu schießen, blickten sie sich an. Lange. Sehr lange.
„Du zielst besser mit den Augen als mit dem Bogen", murmelte Liesl.
Gregor nickte. „Und du triffst ohne Absicht."
IV.
Doch das Glück blieb nicht ungetrübt. Der alte Förster hatte andere Pläne. Für Liesl. Den Sohn des Holzindustriellen aus dem Tal – der hatte Land, Geld und einen Ford Ranger. Gregor hingegen hatte nichts als seine Leidenschaft für Wälder und seine Pfeile – und nicht einmal ein Handy mit Empfang.
„Ein Städter bleibt ein Städter", knurrte Baumgartner.
„Dann soll er halt gehen", sagte Liesl – und tat es.
Mitten in der Nacht packte sie ihre Sachen, hinterließ eine Notiz auf Birkenrinde – „Ich jage mein eigenes Glück" – und verschwand in die Richtung, wo der Fluss sich verliert, hinter der großen Tanne.
V.
Gregor fand sie drei Tage später, bei der Hochalm, wo der Bach wie eine Melodie aus Kindertagen klingt. Sie saß am Feuer, aß Wurzeln und sang ein Lied, das nicht im Radio lief.
„Warum?" fragte er nur.
„Weil du geschossen hast", sagte sie.
„Wohin?"
„In mein Herz."
Er legte sich neben sie. Kein Wort mehr. Der Wald schwieg. Die Nacht auch. Nur ein Käuzchen rief, wie ein alter Dichter, der wusste: Manches trifft tiefer als jedes Gewehr – ein Pfeil aus Sehnsucht, gezielt mit Herz.
ENDE
Moral? Vielleicht dies: Manchmal braucht es keinen Schuss, um zu treffen. Nur einen Blick. Und einen Wald, der zuhört.