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Erfahrungsbericht: 6 Wochen in einer psychiatrischen Klinik

Demetra
Benutzer155480  (41) Sehr bekannt hier
  • #1
Guten Tag allerseits,

als ich mich vor einigen Wochen entschloss, mich selbst aufgrund einer tiefen Depression, verbunden mit Ängsten und Suizidgedanken, in eine psychiatrische Klinik einzuweisen, gingen mir viele Dinge durch den Kopf. Wie würde man mich dort behandeln? Würde ich unter Zwang Dinge tun müssen, die ich nicht möchte? Wie streng sind die Regeln in so einer Klinik? Und überhaupt, was für Menschen gehen freiwillig in die Psychiatrie?

Zunächst stellte ich fest, dass es zwei sehr unterschiedliche Bereich in der Klinik gibt, die ich mir ausgesucht hatte. Zum einen gab des die sog. 'geschützte Station', wo die Menschen in Behandlung sind, die eine Gefährdung für sich selbst oder andere Menschen darstellen. Von dieser Station habe ich außer dem täglichen Blick hinab in deren Garten überhaupt nichts mitbekommen.

Und dann gab es noch den Bereich, in dem ich untergebracht wurde. Ein offener Bereich, in dem dennoch feste Regeln galten, um die Gesundheit und das Wohlergehen der Patienten zu garantieren. Morgens und Abends gab es eine bestimmte Uhrzeit, zu der ich mich beim Pflegedienst melden musste. Bei jeder Mahlzeit musste ich mich einstempeln, damit auf diese Weise kontrolliert werden konnte, ob ich anwesend war oder nicht. (Und ja, natürlich hat man sich hie und da einfach eingestempelt und ist dann mit Freunden Pizza essen gefahren). Nachtruhe war immer um 22.30 Uhr, die auch meist eingehalten wurde - nur bei den EM-Spielen wurde eine Ausnahme gemacht.

Am Tag meiner Ankunft hatte ich bereits den ersten Termin mit meiner behandelnden Ärztin. Sie nahm sich viel Zeit für mich, hörte mir zu und stellte dann auch direkt die Frage, ob ich darüber nachgedacht hätte, ob ich Medikamte nehmen wolle. Als ich mich unentschlossen zeigte, respektierte sie meinen Wunsch ohne zu Zögern und erst in der dritten Woche, als ich schlechter zu schlafen begann, verschrieb sie mir eine sog. Bedarfmedikation - etwas, das ich nehmen konnte, aber nicht musste.

In den Tagen darauf gab es weitere medizinische Untersuchungen, Blutabnahme und EKG, die im klinikeigenen Labor durchgeführt wurden.

In der ersten Woche bekam ich meine Einweisungen in den Sportbereich der Klinik. Da ich in diesen Tagen noch kein Therapieprogramm hatte, habe ich natürlich sofort die Chance genutzt und viel Sport gemacht: mit dem Erfolg, dass bereits nach dem vierten Tag eine erneute Arztvisite angesetzt wurde, in der die Ärztin mich bat, es nicht zu übertreiben. Auf diese Weise wurde mir klar, wie gut vernetzt Ärzte, Pflegedienst und Fachabteilungen sind. Zwar nicht immer perfekt - gerade in der Urlaubszeit wurde viel mit Vertretungen gearbeitet -, aber ich konnte überall den guten Willen spüren, auf den Patienten zu achten.

Ab der zweiten Woche liefen meine Therapien an. Ergotherapie, Sporttherapie, Einzeltherapie, Gruppentherapie und konzentrative Bewegungstherapie. Gerade Letzteres gab mir zunächst Rätsel auf und ich fragte mich selbst, was ich denn in einer Gruppe lernen sollte, in der es darum geht, meditativ seinen Körper, seine Gefühle und seine Gedanken wahrzunehmen und dann seine Empfindungen mit Hilfe von Gegenständen (vom Plüschaffen bis zum Springseil war alles da) darzustellen und zu erklären. Doch gerade diese Gruppe war es, die mich emotional am schnellsten knackte und mich merken ließ, dass mein Bauchgefühl, mein Selbstwert und meine körperliche Eigenwahrnehmung total kaputt waren. Erst in der achtsamen Beschäftigung mit mir selbst merkte ich, wie sehr mein Körper schmerzte und wie turbulent die Gefühle Achterbahn fuhren.

Die dritte Woche war deswegen ganz furchtbar. In allen Therapien kamen immer mehr Dinge zum Vorschein, die ich lange verschüttet geglaubt hatte - und die ich auch ganz aktiv verschüttet hatte. Meine Unfähigkeit, Freundschaften zu führen, meine unregulierte Emotionalität, mein Selbsthass, mein Glaube, dass ich nur mit Leistung etwas wert bin, meine Unfähigkeit zur Selbstabgrenzung und zum Nein-Sagen, meine Jugend mit dem schweren Mobbing, dem selbstverletzenden Verhalten und nicht zuletzt der Konflikt mit meiner Mutter, der bis heute nicht geklärt ist und mich vermutlich bis zu meinem Lebensende begleiten wird. Mir tat seelisch und körperlich alles weh in dieser Woche. Es war wirklich furchtbar, ich habe jeden Tag geweint und geflucht. Aber sowohl meine Bezugspflegerin als auch meine Therapeuten waren für mich da, trösteten, inspirierten und motivierten mich, weiterzumachen.

Ich glaube man kommt in jeder gut laufenden Therapie an den Punkt, an dem alles gesagt ist, alles offen liegt, man sich wund und verletzlich fühlt. Aber das ist auch der Punkt, an dem man aus den Trümmern wieder aufbauen kann. Deswegen ist Therapie echt harte Arbeit und man muss den unbedingten Willen mitbringen, sich auf alles einzulassen. Wenn man das nicht mitbringt, wenn das Verhältnis zu den Therapeuten nicht stimmen, dann macht es in meinen Augen keinen Sinn.

Ab der vierten Woche wurde alles besser. Ich fand durch die Ergotherapie wieder Freude am Malen, ich saß viel im Garten, erfreute mich an der Natur, las wieder und hörte wieder Musik - Dinge, die in der Depression verloren gegangen waren. Natürlich gab es hie und da noch emotionale Einbrüche und miese Tage. Aber sie wurden zusehends weniger. Alles, was in meinem Leben vorher als Muss erschienen war, war auf einmal im Fluß: Job, Beziehung, Freundschaften. Ich nahm mir vor, all diese Dinge nochmal neu zu bewerten, nun, da ich langsam begriff, dass es in meinem Leben nur darauf ankommt, was mich glücklich macht.

Oft hört man, dass Leute ihr Leben total umkrempeln, wenn sie aus der Psychiatrie kommen. Ich kann das nun recht gut verstehen, auch wenn ich beschlossen habe, dass riesige Schritte wie eine Kündigung oder eine Trennung definitiv der falsche Weg sind, da ich noch immer krank bin und erstmal in Ruhe gesunden muss. Was ich aber machen kann, ist eine Politik der kleinen Schritte: Entscheidungen erst einmal in Ruhe bedenken, bevor ich sie treffe, weil mein Bauchgefühl ja noch immer kaputt ist. Nein-Sagen üben im Alltag (puh, gar nicht so einfach). Meine Wohnung umgestalten und mir einen Ort schaffen, wo ich mich entspannt und sicher fühle. Regelmäßig Sport treiben und zur Massage gehen. Nicht direkt in die Luft gehen, wenn Menschen Dinge anders anpacken, als ich es tun würde.

In der fünften Woche gab mir meine Einzeltherapeutin zum ersten Mal das Wort "Borderline" mit auf den Weg und informierte mich über diese Art der Persönlichkeitsstörung. Sie zeigte mir an einige Beispielen auf, dass diese Diagnose in vielen Bereichen meines Lebens zuträfe, sagte aber direkt, dass ich in ganz vielen anderen Bereichen eben wenig bis gar keine typischen Anzeichen zeigen würde. Eine 'Akzentuierung' nannte sie es. Ich beschloss, mich zu informieren und las einige medizinische Fachartikel zum Thema. Tatsächlich fand ich mich im Borderline wieder und ich fühlte, wie mir ein riesiger Stein vom Herzen fiel. Da war sie, eine Erklärung für so viele Dinge, die falsch liefen und die ich erst in den Wochen in der Klinik so richtig begriffen und beleuchtet hatte: die emotionale Leere in mir, die Selbstverletzungen, das Gefühl, fett und hässlich zu sein, obwohl mir alle etwas Anderes sagen, die unkontrollierten Wutausbrüche, das rauschartige Einkaufen oder Essen, die schwierigen Freundschaften, die kritische Berufswahl.

Ich war angekommen. Irgendwo in mir, wo etwas seit meinen Kindertagen etwas kaputt ist. Ich wußte jetzt endlich, dass es eine Störung ist, eine Erkrankung. Die kam, weil mir im Lauf der Kindheit so viele schlimme Dinge geschehen sind und nicht, weil ich ein weinerliches, mieses Riesenarschloch bin. Ich bin kein schlechter Mensch. Ich lief zwei Tage mit einem riesigen Grinsen herum, bis ich dann etwas begriff: die Erkenntnis ist erst der Anfang. Borderline ist für mich eine Erklärung, aber keine Entschuldigung. Jetzt, wo ich weiß, wo meine Defizite und Schwäche liegen, wo meine Ängste herkommen und wo ich seelisch wackele, ist es meine Aufgabe, das alles anzupacken. Langsam und mit kritischem Blick für meine eigenen Kräfte. Das schulde ich mir selbst und meinem absoluten Willen, ein glückliches und langes Leben zu führen. Es gibt viel zu tun....essen wir nen Keks und packen es an :smile:

Seit einigen Tagen bin ich wieder zuhause. Die letzten Tage vor der Entlassung waren sehr wehmütig. Ich hatte einige Mitpatienten sehr liebgewonnen, ich mochte den festen Tagesablauf der Klinik, das leckere Essen und schlichtweg das Gefühl, dass sich jemand um mich kümmert, wo ich mich doch mein ganzes Leben immer zuerst um Andere gekümmert habe. Die Zweifel waren groß - ob ich im Alltag umsetzen kann, was ich in der Klinik erkannt habe? Wie wohl mein Umfeld reagieren wird, wenn es erfährt, dass ich in der Psychiatrie war?

(Meine Mutter kann das Wort "Psychiatrie" übrigens nicht aussprechen. Sie sagt ich sei "unterwegs gewesen". Vor der Klinik hätte mich das irgendwie verletzt, inzwischen denke ich, dass sie eben auch so jemand ist wie ich - sie kann nicht aus ihrer Haut. Im Gegensatz zu mir hat sie es allerdings auch nie versucht.)

Ich gehe jetzt im Freundes- und Kollegenkreis recht offen damit um, dass ich in der Klinik war. Mein Vater hat Bedenken, dass mich niemand mehr einstellen würde, wenn bekannt wird, dass ich psychisch angeschlagen bin. Ich sehe das aber lockerer. Für jemanden, der nicht begreift, dass eine psychische Erkrankung eben genau das ist - eine Krankheit, die jeden treffen kann - , möchte ich auch nicht arbeiten.

Und gerade durch meine Offenheit habe ich viel Unterstützung in Bereichen erfahren, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Die Masse an Nachrichten in sozialen Netzwerken, Mails und Anrufen, die mich aufbauen und Ratschläge enthalten und die vielen guten Gespräche mit Leuten, die ebenso klar von ihren Problemen berichteten wie ich, überraschen mich und tragen mich heute auf meinem Weg weiter.

Eine Depression kann jeden treffen. Manche etwas leichter, weil sie instabil sind und es ihnen an Resilienzen fehlte. Manche schwerer. Aber sie ist in keinem Fall etwas, für das man sich schämen muss. Wichtig ist, dass man darüber redet. Mit der Familie, dem Partner, Vertrauenslehrern, Therapeuten, Freunden. Nur dem, der mit der Sprache das Innere nach Außen bringt, kann geholfen werden.

Und sollte es Euch mal so schlecht gehen, dass Ihr an Eurem Leben zweifelt, dann zögert nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Beginnt eine Therapie, denkt über Medikamente nach und geht notfalls in eine Klinik, wie ich es getan habe. Eine bessere Investition in Euer wertvollstes Gut - in Euch selbst - kann es gar nicht geben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nevery
Benutzer72433  Planet-Liebe ist Startseite
  • #2
Demetra Demetra vielen dank, dass du das "einfach so" und so ausführlich aufschreibst.

kannst du noch etwas zu den rahmenbedingungen - kosten usw. - sagen?
 
caotica
Benutzer68775  (39) Planet-Liebe Berühmtheit
  • #3
Ich find deinen Text toll, sehr positiv und reflektiert zu einem echt mutigen Schritt. Ich drücke dir die Daumen, dass du möglichst viel in dein Alltagsleben mitnehmen kannst, und Schritt für Schritt der "Dämonenzähmung" näher kommst :rose:
 
Demetra
Benutzer155480  (41) Sehr bekannt hier
  • Themenstarter
  • #4
Natürlic, Nevery Nevery , gerne.

Ich bin gesetzlich krankenversichert und bis auf den Eigenanteil, den ich bezahlen musste (280 Euro, setzt sich zusammen aus einem Tagessatz von 10 Euro pro Tag bei maximal 28 Tagen Berechnungszeitraum, ganz gleich, wie lange man bleibt) war der Aufenthalt für mich kostenlos. Diesen Eigenanteil zahlt man in jedem Krankenhaus.

Diese 280 Euro können für Menschen mit niedrigem Einkommen von der Krankenkasse übernommen werden. Wer über eine Klinikeinweisung nachdenkt - diese muss übrigens kein Psychiater machen, bei mir hat es der Hausarzt gemacht, weil ich bis Oktober hätte warten müssen, um einen Psychiater zu sehen -, sollte bei Geldproblemen schnellstens Kontakt mit der KK deswegen aufnehmen.

In der Klinik selbst hatte ich die Möglichkeit, mit einer Sozialberaterin zu sprechen, die mich z.B. beim Thema 'Krankengeld' beraten hat, das ja ab dem 43. Tag der Krankschreibung ausgezahlt wird (bzw. in das man bei einer Folgeerkrankung innerhalb einer 3-Jahres-Frist sofort wieder zurückfällt).
[doublepost=1469374565,1469353508][/doublepost]Ah, etwas habe ich noch vergessen, was recht wichtig ist: der Zeitindex und das allgemeine Prozedere einer Aufnahme.

Ich war in einer Klinik, die Aktupatienten meines Landkreises aufnehmen muss. Ergo bedeutet das, dass es solche Kliniken überall gibt und wenn man eine sucht, kann man direkt mit den Akutkliniken seines jeweiligen Kreises beginnen.

Nach der Überweisung habe ich in der Klinik angerufen und mich nach dem Prozedere erkundigt. Diese haben mich gebeten einen Anmeldebogen auszufüllen (die meisten psychosomatischen Kliniken haben den bereits auf ihrer Homepage, wie ich feststellen konnte) und diesen dann gemeinsam mit der Überweisung des Arztes entweder zuzuschicken oder ihn direkt vorbeizubringen. Bis zur Aufnahme vergingen dann 2,5 Wochen.

Man kann natürlich auch versuchen, akut in eine andere Klinik eingewiesen zu werden. Aber da die Kliniken jeweils nur ihren Kreis vorrangig zu behandeln haben, kann es also durchaus Monate (!) dauern, bis man in seiner Wunschklinik einen Platz bekommt.

Daher sollte man sich gut überlegen, welche bittere Pille man schlucken möchte - entweder nicht in die Wunschklinik zu kommen oder sehr lange zu warten.
 
Vianne
Benutzer151786  (39) Sehr bekannt hier
  • #5
Darf ich fragen, wie deine Vorgeschichte aussah? Also, war deinem Hausarzt bekannt, dass du psychisch angeschlagen warst oder hat er dir "spontan" und unkompliziert eine Überweisung ausgestellt? Kann man einzelne Therapieformen vor Ort ablehnen? Und wie hat sich entschieden, wann du wieder entlassen werden konntest?

Wie sieht die Nachbetreuung aus, wenn es eine gibt? Bekommt man mit der Entlassung eine ambulante Therapie angeboten oder muss man sich darum - verbunden mit der sehr langen Wartezeit - wieder selbst kümmern, wenn man noch Bedarf sieht?

Vielen Dank auch von mir für deinen interessanten Bericht. Ich wünsche dir alles Gute! :knuddel:
 
mosquito
Benutzer20976  (be)sticht mit Gefühl
  • #6
Vielen Dank für Deinen Erfahrungsbericht und Deine emotionale Offenheit uns gegenüber.

Für viele ist schwer nachzuempfinden, wie sich depressive Menschen fühlen, was ggf. in Ratschläge mündet, man möge sich zusammenreißen ...
Off-Topic:
Ich hatte in dem Sinn noch keine (diagnostizierten) Depressionen, aber steckte letztes Jahr und zu Beginn dieses Jahres phasenweise in einem tiefschwarzen seelischen Sumpf und hatte eine Art Erschöpfungszustand. Viele in meinem Umfeld haben das nicht begriffen, weil sie mich als souverän und sicher wahrnehmen (auch dann, wenn ich mich gar nicht so fühle und das auch nicht unbedingt anstrebe).
Bei meinen Probeterminen bei zwei Therapeutinnen sagte eine: "Sie weinen seit einer Dreiviertelstunde, aber Sie wirken trotzdem immer noch total kompetent. Sie werden sich nicht so fühlen, aber Sie strahlen Stärke aus." Eine andere: "Sie brauchen keine Therapie, um Handlungsstrategien zu finden. Wenn eins klar geworden ist: HANDELN können Sie!"
Ich fragte mich, was noch passieren muss, damit ich wirklich mal als so schwach erkannt werde, wie ich mich fühle, denn eigentlich war es das, was ich damals wollte: komplett die Kontrolle abgeben, loslassen und dabei jemanden, der mich festhält.
Die vier Probetermine wühlten mich jeweils extrem auf - buchstäblich, ich fühlte mich danach, als hätte sich ein riesiger Maulwurf durch meinen Schädel gegraben. Einmal das Gemüt gejätet. Da kam viel zutage. Ich habe weitere Therapie auf das kommende Jahr vertagt - viel trage ich seit Jahrzehnten mit mir herum, das kann noch auf Bearbeitung warten. Mir ist tatsächlich mein Ausbildungsabschluss im Moment wichtiger, in diesem Prüfungsjahr fehlt es mir an Ressourcen, mich auf eine Therapie einzulassen. Bislang fahre ich damit ganz gut und habe für mich gute Strategien der Selbstsorge gefunden.

Demetra Demetra - Dein Bericht über den stationären Aufenthalt hat mich tatsächlich ermutigt, mir für kommendes Jahr rechtzeitig konkret einen Therapiestart vorzunehmen, damit es nicht beim bloßen Vertagen bleibt.

Bei der Gelegenheit: Kürzlich hatte ein Dokumentarfilm Premiere, der sich mit dem Thema Depressionen befasst: "Die Mitte der Nacht ist der Anfang vom Tag". Einer der Filmemacher ist Psychiater. Neben dem Dokumentarfilm wird es auch einen Informationsfilm mit Stimmen von Experten geben, die Dokumentation selbst verzichtet auf Erklärungen.
Weitere Informationen: Filmprojekt
(Ein Dozent von mir hat mir davon erzählt, leider hab ich den Film noch nicht gesehen. Die Filme wird es im Herbst als DVD geben, derzeit wird noch für weitere Kinoaufführungen gesammelt.)
 
Demetra
Benutzer155480  (41) Sehr bekannt hier
  • Themenstarter
  • #7
mosquito mosquito : Es freut mich, dass Dich der Bericht Deinen Entschluss bestärkt hat. Alles Gute für Dich :smile:


Darf ich fragen, wie deine Vorgeschichte aussah? Also, war deinem Hausarzt bekannt, dass du psychisch angeschlagen warst oder hat er dir "spontan" und unkompliziert eine Überweisung ausgestellt?
Ich bin seit Mitte letzten Jahres langsam in eine tiefe Traurigkeit und Lethargie hineingerutscht. Da ich das aus meinem Leben sehr gut kenne, habe ich das nicht weiter beachtet. Als im Februar meine Großmutter starb, sattelte auf die Depression direkt eine Angststörung auf (massive Todesängste, Hypochondrie, Selbstmordgedanken aus Leidensdruck). Seit Februar begleitet mich mein Hausarzt dabei, hatte mich bereitwillig mehrmals krank geschrieben und versuchte mir bei der Terminfindung bei einem Psychiater zu helfen. Als ich ihn im Mai um die Einweisung bat, hat er nicht einen Moment gezögert.

Daher kann ich nur empfehlen, einen Hausarzt möglichst frühzeitig einzubinden. So kann man nämlich auch notfalls den Arzt wechseln, falls sich das Ursprungsexemplar als Depp herausgestellt hat (habe ich bereits erlebt... "Gehen Sie ein bisschen raus, nehmen Sie ab und reißen Sie sich etwas zusammen.").

Kann man einzelne Therapieformen vor Ort ablehnen?
Aber natürlich. Welche Therapien ich mache habe ich anfangs mit meiner behandelnden Ärztin besprochen. Bei zwei Angeboten war sie sich nicht sicher, ob es etwas für mich sei. Ich solle es einfach ausprobieren und wenn sie mir nicht gefielen, dann könne ich diese Therapieform abbrechen. War überhaupt kein Problem.

Und wie hat sich entschieden, wann du wieder entlassen werden konntest?
Es gab wöchentliche Gespräche mit meiner behandelnden Ärztin und wir haben ausführlich über meinen Zustand gesprochen. 6 Wochen war so etwas wie die 'Mindestzeit' in der Klinik, aber natürlich kann man auf eigenen Wunsch früher entlassen werden. Die meisten Therapieblöcke waren auf 6 bis 8 Wochen angelegt. Wer länger in der Klinik bleiben musste, hatte in den Wochen nach Woche 8 oftmals weniger Therapieangebot als die, die in der Kernzeit blieben.
Da ich nächste Woche Urlaub gebucht hatte, zeigte sich die Ärztin aufgrund meiner Fortschritte bei meinem Wunschtermin für die Entlassung sehr flexibel.
´
Wie sieht die Nachbetreuung aus, wenn es eine gibt? Bekommt man mit der Entlassung eine ambulante Therapie angeboten oder muss man sich darum - verbunden mit der sehr langen Wartezeit - wieder selbst kümmern, wenn man noch Bedarf sieht?
Wer in der Klinik war, hat Bedarf an einem Therapeuten. So einfach ist das. Die Wochen in der Klinik können nicht 'heilen', was jahrelange Krankheit angerichtet hat. Eine direkte engmaschige Betreuung durch einen Psychotherapeuten und Psychiater (bei Medikamentengabe) muss einfach sein.

Nachbetreuung sind eine mögliche Unterbringung in einer Tagesklinik oder eine Wiederaufnahmevereinbarung, die es bei einer Rückkehr in die Klinik einfacher macht, an die vergangene Therapie anzuknüpfen.

Und ja, um die ambulante Therapie muss man sich selbst kümmern, darum kommt man nicht herum. Ich hatte das Glück, bereits im April eine Therapeutin zu finden, indem ich über das Ärzteverzeichnis der kassenärztlichen Vereinigung nach tagelangem Herumtelefonieren einen Glückstreffer landete. Aus Erfahrung (mein Ehemann ist ebenfalls depressionskrank) weiß ich, dass es Wochen bis Monate dauert, einen zu finden.

Daher würde ich mich erst um den elenden Teil mit dem Telefonieren kümmern, genug Anrufbeantworter besprechen und dann in die Klinik gehen. Dort wird das Schlimmste erstmal aufgefangen und in 6 bis 8 Wochen kann sich an der ambulanten Front einiges tun.

Falls einem die Kraft dazu fehlt, hilft die Klinik natürlich gerne bzw. hätte es in meinem Fall bereitwillig getan, wenn ich nicht schon meine Therapeutin gehabt hätte.
 
Damian
Benutzer6428  Doctor How
  • #8
Großer Respekt!
Du rollst die Ärmel hoch und du machst was...das ist nicht leicht.
Darüber hinaus bist du sehr intelligent, weil du kleine Schritte machst...große führen meistens zu einem schmerzhaften Spagat...

Off-Topic:
Das mit dem Keks hat mir übrigens sehr gefallen! :zwinker: Selbst belohnen ist wichtig...und es gibt soooo tolle Kekse auf der Welt...mit Schokostücken drin....*seufz* :zwinker:
 
Maggie21
Benutzer137375  Benutzer gesperrt
  • #9
Ich war während meiner ambulanten Therapie (akute Depression mit Medikation) 6 Wochen in einer Reha.
Ich kann Demetra Demetra nur zustimmen.
Ein ganz toller Bericht .. Danke :anbeten:
 
Winterkind
Benutzer113955  Beiträge füllen Bücher
  • #10
Zunächst stellte ich fest, dass es zwei sehr unterschiedliche Bereich in der Klinik gibt, die ich mir ausgesucht hatte. Zum einen gab des die sog. 'geschützte Station', wo die Menschen in Behandlung sind, die eine Gefährdung für sich selbst oder andere Menschen darstellen. Von dieser Station habe ich außer dem täglichen Blick hinab in deren Garten überhaupt nichts mitbekommen.
Ich möchte hierzu nur kurz was sagen, weil es leider immer wieder Menschen gibt, die mit absoluten Horrorvorstellungen an solche Stationen denken und zum Teil auch deshalb einen Klinikaufenthalt meiden.

Die geschützte Station ist zunächst einmal gut gesichert. Da kommt keiner einfach so rein, auch vom Personal nicht. Also ist die Chance auch gering, dass da jemand rauskommt, der lieber noch drinne bleiben sollte. Angst vor einem "Amoklauf" muss man also nicht haben.
Auch gibt es dort keine Gummizellen und auch keine Zwangswesten, so weit ich mich erinnere ist das sogar verboten.
Es gibt dort die Möglichkeit einen Menschen zu fixieren, allerdings darf man das nur für sehr kurze Zeit bei akuter Gefahr, alles was auch nur so aussieht, dass es länger dauert muss genehmigt werden. Währenddessen steht man auch unter permanenter Beobachtung, es wird also niemand einfach so "weggeschlossen".
Die Menschen, die zunächst auf die geschützte Station eingewiesen werden, sind beispielsweise Überlebende eines Suizidsversuchs. Die meisten von ihnen bleiben max. 3 Tage dort und werden dann auf einer anderen Station untergebracht, sofern sie die Therapie angehen wollen. Es sind also in den wenigsten Fällen Personen, die eine wirkliche Gefahr für andere darstellen oder Leute mit denen man überhaupt nicht mehr reden könnte.
 
Triton
Benutzer146142  (45) Benutzer gesperrt
  • #11
Guten Tag Demetra Demetra ,
ich freue mich, dass es dir nach der Therapie nun wieder besser geht und danke dir für die offenen Worte.

Eine Frage noch dazu, du erwähntest oben ja auch kurz dein persönliches Umfeld - Partner , Familie und Freunde. Hattest du den Eindruck, dass der engere Kreis dieser Personen deine Entscheidung zur Therapie nachvollziehen konnte bzw. mitgetragen hat? Und wie gehst du in diesem Kreis mit Ablehnung oder Unsicherheit um? (falls es die dir gegenüber gibt)
 
Demetra
Benutzer155480  (41) Sehr bekannt hier
  • Themenstarter
  • #12
Triton Triton : Mein Mann hat mir zu dem Aufenthalt geraten. Sowohl meine Stiefsöhne, als auch meine Schwiegereltern, mein Vater und mein Bruder unterstützten mich in meiner Entscheidung. Lediglich meine Mutter versteht nicht, wieso ich in der Klinik war.

Mein Chef und meine Kollegen sind voll informiert. Ich erzähle überall offen, wo ich war. Bisher habe ich (außer meiner Mutter) keine einzige negative Reaktion erhalten.

Käme eine, würde ich diese Leute aus meinem Bekanntenkreis aussortieren und Umfeld / Stelle falls nötig wechseln. Das Leben ist zu kurz für das Unverständnis anderer, für das man mehr als eine kurze Erklärung aufwenden müsste.
 
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