• Es sind wieder ein paar schöne Fotobeiträge eingetrudelt. Schau sie dir doch einmal hier an und stimme für deinen Favoriten.

Erfahrung mit an Demenz erkrankten Familienangehörigen

HoldenC
Benutzer138875  Beiträge füllen Bücher
  • #1
Das Verhalten meines Vaters in jüngerer Vergangenheit weist Symptome einer Demenzerkrankung auf.
Er wirkt mitunter schlagartig vergesslich und zeigt ein lückenhaftes Erinnerungsvermögen. Phasenweise verliert er die Orientierung.
In der Gewissheit, dass die Erkrankung nicht reversibel ist, suche ich nach Möglichkeiten, diese zumindest aufzuhalten.

Habt ihr Erfahrungen mit demenzerkrankten Familienangehörigen?

Welche Versuche habt ihr unternommen, um die Erkrankung aufzuhalten/zu verzögern? Mit welchem Erfolg?
 
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H
Benutzer137374  (52) Benutzer gesperrt
  • #2
Das Verhalten meines Vaters in jüngerer Vergangenheit weist Symptome einer Demenzerkrankung auf.
Er wirkt mitunter schlagartig vergesslich und zeigt ein lückenhaftes Erinnerungsvermögen. Phasenweise verliert er die Orientierung.
In der Gewissheit, dass die Erkrankung nicht reversibel ist, suche ich nach Möglichkeiten, diese zumindest aufzuhalten.

Habt ihr Erfahrungen mit demenzerkrankten Familienangehörigen?

Welche Versuche habt ihr unternommen, um die Erkrankung aufzuhalten? Mit welchem Erfolg?

Wie alt ist Dein Vater und war er schon beim Arzt wegen der unterstellten Demenz? Es haengt auch von der Ursache ab, was man machen kann und wie der Verlauf ist. Langfristig aufhalten lassen sich allerdings alle Formen nicht.
 
Cookie_Fan
Benutzer101125  (33) Meistens hier zu finden
  • #3
Wie alt ist dein Vater und war er oder ihr zusammen schon beim Arzt?
Wirklich aufhalten kann man Demenz nicht. Im ganz frühen Stadium kann man die Demenz noch mit Konzentrations- und Merkübungen verzörgern, aber langfristig aufhalten funktioniert nicht.
Mein Opa litt die letzten Jahre seines Lebens an zunehmender Demenz. Seine Enkelkinder hat er alle noch erkannt, aber man hat schon gemerkt, dass er mehr in seiner Jugend- bzw früheren Erwachsenenzeit gelebt hat als im Jetzt.
 
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Greeny
Benutzer150857  (36) Sehr bekannt hier
  • #4
Habt ihr Erfahrungen mit demenzerkrankten Familienangehörigen?
Ja, der Opa meines Partners war dement, er ist mit ca. 80 Jahren in ein Pflegeheim gezogen, weil die Oma zu Hause keine Möglichkeiten hatte, sich vernünftig um ihn zu kümmern. Glücklicherweise war das Pflegeheim nicht weit weg, sodass sie täglich und die übrigen Familienangehörigen auch regelmäßig zu ihm fahren konnten. Die Entwicklung war eher schleichend, Oma wollte es erst nicht recht wahr haben, aber die Anzeichen wurden immer deutlicher und bevor er ins Pflegeheim gezogen ist, wurde es dann auch sehr gefährlich - er verlief sich im Wald, war völlig orientierungslos, er hat sich die Autoschlüssel heimlich gemopst, wurde von einem zum anderen Moment sehr böse und wütend usw.

Welche Versuche habt ihr unternommen, um die Erkrankung aufzuhalten? Mit welchem Erfolg?

Bewusst keine. Wir haben immer versucht, unsere - und vor allem auch seine :geknickt: - Enttäuschung zu überspielen, wenn er uns mal wieder nicht erkannt oder völlig verwechselt hat, haben viel mit ihm gesprochen und gespielt. Ich glaube, dass ein offener Umgang mit der Erkrankung innerhalb der Familie sehr wichtig ist. Gerade gegenüber den jüngeren Kindern/Enkeln war es auch wichtig immer wieder zu erwähnen, dass der Opa das nicht böse meint. Das war nicht so einfach, aber irgendwann haben sie auch "mitgespielt" - z.B.den Opa nicht vorführen, wenn er zu lange überlegt, wer vor ihm steht.
Als unser Opa gestorben ist, war das für uns alle furchtbar, aber es war kein absoluter Schock - so dumm das auch klingen mag - weil es wie ein langsamer Abschied über viele Jahre verteilt war. Der Opa, den wir kannten und mochten, war nicht der, den wir über Jahre hinweg in diesem - übrigens sehr schönen, liebevollen - Heim besuchten.
 
HoldenC
Benutzer138875  Beiträge füllen Bücher
  • Themenstarter
  • #5
Wie alt ist Dein Vater und war er schon beim Arzt wegen der unterstellten Demenz?
Er ist 75. Einen Arztbesuch diesbezüglich hat er noch nicht unternommen. Es wird zunächst nicht ganz einfach, ihn dazu zu bringen, dass er sich vergegenwärtigt, dass es sich um ein psychiatrisches Syndrom handeln könnte. Dazu muss ich einen passenden Zeitpunkt finden.
 
Lollypoppy
Benutzer71335  (56) Planet-Liebe ist Startseite
  • #6
Ja mein 77 jähriger Vater hat auch fortschreitende Symptome, wobei da vor Jahren schon der Verdacht auch auf Alzheimer aufkam, weiß jetzt nicht wo da der feine Unterschied liegt und was sich letztlich betätigt hat.
Derzeit muss meine schwer Krebskranke Mutter sich meist darüber aufregen. Bei uns überspielt er das gerne mal, aber man merkt das er sich in seiner jahrzehntelangen Heimatstadt nicht mehr orientieren kann.
 
H
Benutzer137374  (52) Benutzer gesperrt
  • #7
Er ist 75. Einen Arztbesuch diesbezüglich hat er noch nicht unternommen. Es wird zunächst nicht ganz einfach, ihn dazu zu bringen, dass er sich vergegenwärtigt, dass es sich um ein psychiatrisches Syndrom handeln könnte. Dazu muss ich einen passenden Zeitpunkt finden.
Dann kann man ja noch gar nichts sagen. Jeder baut im Alter geistig ab. Das ist der Gang der Dinge. Wie "auffaellig" ist er denn? Ich vergesse auch mal was und mein Orienturungssinn ist nicht der beste, dennoch habe ich anzunehmend nicht Alzheimer. Ohne aerztliche Untersuchung ist das alles Spekulation.
 
HoldenC
Benutzer138875  Beiträge füllen Bücher
  • Themenstarter
  • #8
Bei uns überspielt er das gerne mal, aber man merkt das er sich in seiner jahrzehntelangen Heimatstadt nicht mehr orientieren kann.
Ja, diese Orientierungsprobleme bereiten mir auch Sorge. Er geht unheimlich gerne zu Fuß und ich mache mir Gedanken darüber, ab wann es sozusagen fahrlässig wird, ihn alleine losspazieren zu lassen.
Ich denke, die Kunst des Überspielens beherrscht auch er gut. Scheinbar ganz Ohr nimmt er manchmal an Unterhaltungen teil, wird er dann etwas gefragt, wirken seine Beiträge immer häufiger etwas zusammenhangslos, was das Gespräch betrifft.
 
Greeny
Benutzer150857  (36) Sehr bekannt hier
  • #9
Ich denke, die Kunst des Überspielens beherrscht auch er gut. Scheinbar ganz Ohr nimmt er manchmal an Unterhaltungen teil, wird er dann etwas gefragt, wirken seine Beiträge immer häufiger etwas zusammenhangslos, was das Gespräch betrifft.
So ging es bei unserem Opa auch los. Manchmal hat er auch gar nicht reagiert, wenn man ihn ansprach. Wenige Minuten später hatte er Tränen in den Augen und erzählte von Kriegserinnerungen, war plötzlich gedanklich ganz woanders.
 
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HoldenC
Benutzer138875  Beiträge füllen Bücher
  • Themenstarter
  • #10
Dann kann man ja noch gar nichts sagen. Jeder baut im Alter geistig ab. Das ist der Gang der Dinge. Wie "auffaellig" ist er denn? Ich vergesse auch mal was und mein Orienturungssinn ist nicht der beste, dennoch habe ich anzunehmend nicht Alzheimer.
Nun ja, ich habe leider diese Art von Krankheit bei meiner Großmutter (der Mutter meines Vaters) aus nächster Nähe mitbekommen und bezweifle leider, dass sein Verhalten nur den gewöhnlichen Alterserscheinungen geschuldet ist.

Zugegeben, ich bin derzeit durch einen Anruf aufgeschreckt, in dem mir eine seiner ehemaligen Mitarbeiterinnen von einem Vorfall berichtete, in dem er hilflos und ohne Erinnerung wirkte.

Ich suche natürlich erst einmal einen Weg ihn für eine solche mögliche Diagnose zu sensibilisieren ohne dass ich ihm mit irgendetwas vor den Kopf stoße. Dann sollte er selbstverständlich einen Arzt aufsuchen. Mich interessieren auch eher Erfahrungswerte, die es erleichtern mit dieser Erkrankung zu leben.
 
H
Benutzer137374  (52) Benutzer gesperrt
  • #11
Ich suche natürlich erst einmal einen Weg ihn für eine solche mögliche Diagnose zu sensibilisieren ohne dass ich ihm mit irgendetwas vor den Kopf stoße. Dann sollte er selbstverständlich einen Arzt aufsuchen. Mich interessieren auch eher Erfahrungswerte, die es erleichtern mit dieser Erkrankung zu leben.
Es ist natuerlich schwierig, da etwas zu raten. Unangenehme Sachen sind nun mal unangenehm. Es lassen sich Probleme nicht wegzaubern. Es haengt auch sehr von der Gesamtlebenssituation ab (wer kann sich wieviel kuemmern, wenn es schlimmer wird). Grundsaetzlich wuerde ich sagen, dass es besser ist, wenn sich der Betroffene rechtzeitig um professionelle Hilfe kuemmert (das heisst Pflegeheim). Es ist einfacher, wenn man noch halbwegs klar ist, sich umzugewoehnen, als wenn man "abgeschoben" wird, weil es einfach nicht mehr geht, aber der Kranke das nicht mehr richtig verstehen kann und wie ein ausgesetztes Kind leidet. Es scheint aber ja noch sehr am Anfang zu sein. Und bevor er keine Krankheitseinsicht hat, kann man ohnehin nicht viel machen.
 
Papalapap
Benutzer138994  (42) Meistens hier zu finden
  • #12
Ja mein 77 jähriger Vater hat auch fortschreitende Symptome, wobei da vor Jahren schon der Verdacht auch auf Alzheimer aufkam, weiß jetzt nicht wo da der feine Unterschied liegt und was sich letztlich betätigt hat.

Das ist ein riesen Unterschied. Alzheimer bedeutet lediglich Gedächnissverlußt.
Demenz greift den ganzen Körper an. Alle Organe. Wie auch das Sprachzentrum, die Bewegungsfähigkeit lässt allmälig nach.
Das Gedächniss sowieso. Und zum Schluss dann alles lebenswichtigen Organe.

Meine Oma ist noch auf einer Dementstation seit etwa 3 Jahren. Symptome dafür haben wir schon vor 7 Jahren festgestellt. Sie baut immer mehr ab. Ob sie uns erkennt, wissen wir nicht. Sie spricht nicht mehr und muss gefüttert werden. Sie hat keine Kontrolle mehr über irgendwas an ihrem Körper. Es gibt auch mehrere Stadien der Demenz, die durch schlagartige Schübe ausgelöst werden.
Eine Heilung und Verhinterung gibt es leider nicht. Nur ein warten, bis sie erlöst wird.
 
Sonata Arctica
Benutzer15049  (38) Beiträge füllen Bücher
  • #13
Ja mein 77 jähriger Vater hat auch fortschreitende Symptome, wobei da vor Jahren schon der Verdacht auch auf Alzheimer aufkam, weiß jetzt nicht wo da der feine Unterschied liegt und was sich letztlich betätigt hat.

alzheimer manifestiert sich häufig auch schon in einem jüngeren alter (durchaus auch ab 40), in dem man noch garnicht an eine demenz denken würde. dabei sind nicht nur erinnerungsvermögen, sondern auch andere nervenbahnen betroffen, sodass sehr bald auch körperliche symptome auftreten.
eine "normale" demenz entsteht einfach durch degeneration des gehirns im alter.
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Das ist ein riesen Unterschied. Alzheimer bedeutet lediglich Gedächnissverlußt.
Demenz greift den ganzen Körper an. Alle Organe. Wie auch das Sprachzentrum, die Bewegungsfähigkeit lässt allmälig nach.
Das Gedächniss sowieso. Und zum Schluss dann alles lebenswichtigen Organe.
es ist genau umgekehrt!

zum thema:
menschen die an demenz leidern, zu erklären, dass sie an demenz leiden ist sehr schwierig. entweder sie können es nicht verstehen oder aber die reagieren aggressiv darauf. auf dauer wird er es sich sowieso nicht zu herzen nehmen können. diese menschen fühlen sich schnell bevormundet (meist ja auch zurecht) und sehen es in klaren momenten überhaupt nicht ein wieso sie dieses und jenes nicht tun können oder sollten (zb allein spazieren gehen).
wirklich sehr schwierig.

EDIT: besorg dir bücher zum thema validation. nach diesem prinzip wird das in (guten) pflegeeinrichtungen gehandhabt.
 
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Papalapap
Benutzer138994  (42) Meistens hier zu finden
  • #14
es ist genau umgekehrt!

Es ist nicht umgekehrt.
Ich weiß ganz genau, was meine Oma hat. Und wir haben uns ganz genau informiert, was dabei passiert.
Ich rede nicht von Altersdemenz sondern von Demenz. Das ist noch ein riesen Unterschied.
Ich sehe es ja auch jede Woche.
 
G
Benutzer146423  Meistens hier zu finden
  • #15
Es wird zunächst nicht ganz einfach, ihn dazu zu bringen, dass er sich vergegenwärtigt, dass es sich um ein psychiatrisches Syndrom handeln könnte.
Also wenn, dann ist es ja kein "psychiatrisches", sondern ein "neurologisches" Problem (wobei das für mich sogar schlimmer klingt).

Das Schwierige bei der Einsicht ist natürlich teils auch die Fähigkeit die eigenen Defizite zu erkennen, aber es gibt ein paar Tests die Du mit ihm machen kannst und vll lässt er sich dadurch dazu bewegen einen Arzt aufzusuchen, denn es ist definitiv Zeit im Verzug - man kann es ja (noch) nicht heilen, aber den Verlauf uU beeinflussen.
 
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HoldenC
Benutzer138875  Beiträge füllen Bücher
  • Themenstarter
  • #34
Firebird Firebird vielen Dank für Deine Einschätzung und handfesten Ratschläge. Der Hinweis mit dem GPS-Tracking stellt eine gute Option dar. Erst vor kurzem fuhren wir gemeinsam mit dem Auto. Es ist nicht unüblich, dass er irgendwann aussteigen und dann ein ganzes Stück zu Fuß gehen möchte. Dieses Mal aber hatte ich interveniert: "Ach, komm, es wird gleich dunkel und es ist saukalt, ich fahr Dich bis nach Hause." Nach kurzer Debatte hatte er eingewilligt. Das funktioniert aber nicht oft bei ihm, so viel ist sicher.

Gefährlich war da eher, dass einer ein ehemals erfolgreicher Handballer war. Ein Ball in seiner Nähe und man duckte sich besser :grin:
Nun, da mein Vater auch ein sehr erfolgreicher Handballer war, ist dieser Typ vielleicht hilfreich :zwinker:. Vielen dank auch Dir.

BIZZY BONE BIZZY BONE Danke für die aufmunternden Worte und die Erfahrungsberichte. celavie celavie Vielen Dank für den Buchtipp.
Vermutlich lohnt es sich, sich etwas Hintergrundwissen anzulesen.

Don Diro Don Diro Danke, ebenfalls. Es ist tröstlich, zu hören, dass Medikamentation wirksam sein kann.
 
Lollypoppy
Benutzer71335  (56) Planet-Liebe ist Startseite
  • #35
Also das Thema ist bei mir grade ganz aktuell geworden.
Mein Vater hatte Mitte der Woche einen leichten Schlaganfall, der wohl einen heftigen Demenzschub ausgelöst hat.

Im Krankenhaus konnte man nicht auf ihn aufpassen, ist ihnen zweimal von Station abgehauen, heute Morgen sogar völlig unbemerkt, erst als ich angerufen hab das er bei mir eingetroffen ist, haben sie Alarm geschlagen.
Nach Empfehlung des Arztes das es besser wäre ihn über die Feiertage da zu betreuen wo er sein will, leben meine Eltern nun in unserer Gästewohnung bei mir im Haus (sein Elternhaus).
Zustand, ist seitdem besser geworden, klar er weiß manchmal nicht wer und wo wir sind, aber es ist besser als im Krankenhaus und wir hatten zu sechst einen wunderschönen Grillabend.
Jetzt weiß ich was die Leute immer damit meinen , das das Leben mit Demenzkranken nebenbei in den kleinen Momenten so schön macht., die haben so eine entwaffnende ehrliche direkte Art ubd sarkastischen Witz. Wir haben heute Abend beim Essen sooooo gelacht, nicht über ihn sondern über seinen "bösen" ehrlichen Witz und die tollen Dinge über die er so nachgedacht hat. Die sieht man so gar nicht.
Schlimmes stellt er nicht an. Ganz zahm.
 
HoldenC
Benutzer138875  Beiträge füllen Bücher
  • Themenstarter
  • #36
Ich hatte überlegt, ob ich nun hier noch mal schreibe, aber irgendwie beschreibt es den Weg und vielleicht hilft der Bericht Manchem oder Mancher, mit der Erkrankung umzugehen.

Mein Vater ist vor 3 Wochen verstorben. Er hat längere Zeit mit der Krankheit gelebt, auf eine Art sehr würdevoll, wie ich es beurteile, andererseits oft hilflos wirkend und für mein Empfinden, isoliert.

Wie ich beschrieben hatte, mehrten sich die Anzeichen für eine Demenzerkrankung vor etwa 6-7 Jahren. Anfangs waren es Auffäligkeiten oder seltsame Dinge, die er tat, die man als Kauzigkeit im Alter, oder wie man bei uns im Norden gerne sagt, "Tüddeligkeit" abtut, Vergesslichkeit, Verwechslungen, so etwas.
Das Alles hat zu einem großen Teil meine Mutter, seine Ehefrau, versucht zu kompensieren. Mein Vater war in alltäglichen Dingen kein sehr selbständiger Mensch, Vieles wurde Zeit seines Lebens von anderen übernommen, Mahlzeiten oder die Organisation des Haushaltes. In anderen Bereichen, vor allem rund um seine Arbeit und Freizeit, war er sehr selbstbestimmt und zielstrebig. Jemand, der im Leben stand, würde ich sagen.
Mit dem Tod meiner an Krebs erkrankten Mutter, vor etwas mehr als 5 Jahren, brach für ihn dann ein großer Teil des Fundamentes zusammen, auf dem sein Leben, vor allem viele Routinen, basierten, Von da an schwanden nicht nur seine Kräfte und sein stetiger Lebensmut, er war auch in alltäglichen Dingen oft überfordert, seine Krankheit obendrauf.
Für die nächsten etwa 3,5 Jahre gelang es meiner Schwester und mir, ihn zu einem gewissen Grad aufzufangen, ich wechselte meinen Job, in seine Firma, nicht zuletzt, um ihm ein Stück näher sein zu können und ihn besser versorgen zu können, zum Glück war er so weit autark, dass er mit öffentlichen Verkehrsmitteln, seinen Routinen folgend, zur Arbeit fuhr. Den Haushalt und seine alltägliche Versorgung hatten meine Schwester und ich unter uns aufgeteilt.

Alzheimer — wurde ihm währenddessen im Zuge einer Untersuchung durch die Hausärztin und später durch einen Neurologen diagnostiziert — ist eine heimtückische Krankheit, Sie äußert sich volatil, ist wenig vorhersagbar und tritt in gewissen Schüben auf. Sind die ersten noch zum Teil vergleichsweise milde und wirken etwas harmlos schrullig, so ändert sich das mit der Zeit, vor allem, was die Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit des Erkrankten betrifft. Anfangs hatte ich irgendwann damit begonnen, ihn die Treppe hinunterzubegleiten, wenn er auf die Toilette musste, später waren Tageswindeln vonnöten,
irgendwann war er in so weit inkontinent, dass es waghalsig war, auf einen längeren Ausflug zu gehen, sei es auch nur, um den Enkeln beim Fußballspielen zuzuschauen, was er immer liebte.

Was uns in dieser Zeit sehr geholfen hat, war die das Ergebnis durch eine Beratungsstelle für Angehörige von Alzheimererkrankten. Es ist, angesichts der Interaktion mit dem Erkrankten, nicht immer einfach, gelassen zu bleiben oder die Befindlichkeiten des Erkrankten zu deuten. Manches erscheint einem als Trotz oder Starrsinn, manchmal fühlt man sich vorgeführt oder nicht wahrgenommen, obschon man glaubt, sich viel Mühe gegeben zu haben. Letztendlich ist es nicht einfach, sich in die Welt eines Jemanden zu versetzen, der plötzlich hilflos wirkt, in Situationen, die eben noch kontrollierbar erschienen. Ich hatte da so meine Momente, als ich z.B. meinen Vater, der die Orientierung verloren hatte, über einen vollbesuchten Jahrmarkt geleiten musste, in Erinnerung daran, dass ich als Kind über eben diesen Jahrmarkt an seiner Hand lief. Es hilft mir ein bisschen, das so zu sehen, was er getan hatte, seinerzeit, um mich zu beschützen, für ihn zu tun.
Wie auch die Kernaussage der Beratung, "Demenz kennt keine Gefühle". Anfangs reagierte ich manchmal abweisend, vielleicht sogar ärgerlich, wenn er mir irgendeinen Kauderwelsch erzählte, von längst vergangenen Dingen, die er in neue Zusammenhänge setzte, oder Dinge behauptete, die absolut nicht zutreffen konnten, er reagierte dann nie störrisch, sondern eher "ertappt" und versuchte seine Gedanken zu ordnen oder abzutun. Mit der Zeit lernte ich, darauf einzugehen, zu fragen, was ihn auf diese Gedanken gebracht hätte und was er dabei fühlte. So entspann sich dann oft ein Gespräch, dass mich tiefer hinter den Schleier seiner Demenz schauen liess.

Dreieinhalb Jahre nach dem Tod seiner Partnerin und des, so gut es möglich war, umsorgten Alleinlebens durch meine Schwester und mich, mehrten sich die Einschläge in Formen von Schüben. Zunächst wirkte er immer orientierungsloser, auch in vertrauten Umgebungen, Einmal war er nicht zum vereinbarten Treffpunkt erschienen, ich schloß die Wohnung auf und fand ihn apathisch auf dem Fußboden liegend. Ein anderes Mal alarmierte uns die Nachbarin, er habe das Haus in Schlafkleidung verlassen. Es mehrten sich die häuslichen Stürze, in der Wohnung, in der er seit über 40 Jahren lebte, verwechselte er die Türen.

Nach einem heftigen Schub — er war gestürzt und ich las in nach ca. 2-3 Stunden auf, er war unfähig, eigenständig zu laufen, — beschloss ich, den Notarzt zu rufen. Die Sanitäter trafen ein, wirkten bemüht, nicht besonders engagiert, aber immerhin bemüht und erklärten, dass dieses eigentlich kein Fall für besondere weitergehende Versorgung darstelle. Eine Erfahrung, die ich daraufhin weitere Male machen musste. Wer demenzerkrankt ist und nicht weiß "was gespielt wird" hat sein Stigma, nach dem Motto,, "da ist keine klare Anamnese möglich." Trotz alledem möchte ich klarstellen, Sanitäter und Pfleger waren in diesen Dingen immer noch um ein Vielfaches teilnahmsvoller als die oft jungen behandelnden Ärzte. Das ist weniger ein Vorwurf an die jeweiligen Personen, sondern eher an die Verantwortlichkeit für ein Gesundheitssystem, das sich in erster Linie an wirtschaftlichen, denn an karitativen Anforderungen ausrichten muss. Das alles in Zeiten der Pandemie um ein Weiteres potenziert,

Bei einem neuerlichen Schub, beschlossen meine Schwester und ich, im Wechsel zeitweise zu ihm zu ziehen (immer den Satz im Ohr "Lassen Sie den Erkrankten so lange wie möglich in seiner ihm vertrauten Umgebung") und uns zeitgleich nach einem Platz im Pflegeheim umzusehen. Als ich bei meiner Tagschicht bei meinem Vater zugegen war, erlitt er im Bett einen für mich komplett beängstigenden Anfall, er wirkte völlig apathisch, schlug sich in einer Art Agonie die Hände vors Gesicht und rief nach meiner Mutter. Ich dachte wirklich, der stirbt mir jetzt. Ich hatte wirklich Schiss und rief den Notarzt. Lapidare Frage: "Worum gehts denn?" Ich hatte erst versucht, zu erklären, was ich erlebt hatte, aber das führte zu weiteren Gegenfragen (und das ist keine Kritik an den handelnden Personen, siehe weiter oben), bis ich äußerte, "mein Vater hat eine Herzinfarkt!". Keine 8 Minuten später bahnten sich die Sanis den Weg durch das Treppenhaus (Kleiner Lifehack, hier, Demenz immer verschweigen, soweit möglich, Demenzpatienten nimmt niemand ernst, außer denen, die wissen, was es damit auf sich hat und die die entsprechende Geduld aufbringen,).

Mein Vater war dann im Krankenhaus seinem Schicksal überlassen. Durch die Pandemieverordnungen, waren Besuche nicht möglich, zwischenzeitlich wechselte er zwischen Handchirurgie- und HNO-Klinik in die Augenklinik, Coronabedingt, Besuch untersagt. Währenddessen versuchten wir einen Pflegeheimplatz, im wahrsten sinne des Wortes. zu ergattern. In Covid-Zeiten ein echter Lauf, zwei Plätze wurden uns, nach Bedenkenträgerei, abgesagt, weil derzeit demente Patienten, unter Corona-Auflagen nicht vermittelbar seien, sie könnten ja "Läufer" sein und wären deshalb nicht zumutbar.

Letztlich gelang es uns, einen Pflegeheimplatz dank persönlicher Verbürgung einer Angestellten zu organisieren. Für ein halbes, monatliches Vermögen, das mein Vater trotz angemessener wirtschaftlicher Vorsorge wohl nur auf Zeit leisten konnte (trotz einigermaßen vernünftiger Rücklagen — Warum muss ein freiwillig Versicherter 2400 Euro monatlich aufbringen, obwohl die Rente die Hälfte hergibt, weiterhin obendrauf satte Beiträge an die Krankenkasse entrichten, um die letzten Jahre seines von Arbeit geprägten Lebens, Fürsorge genießen zu dürfen?)

Letztendlich war das Pflegeheim für meinen Vater ein sehr dankbarer Ort. Mein Vater war stets ein sehr kommunikativer und anpassungsfähiger Zeitgenosse. Es fiel ihm nicht schwer, respektvoll mit den Angestellten umzugehen, Der manchmal von Angehörigen berichtete Zorn, starke Launenhaftigkeit oder Unberechenbarkeit, sie hat meinen Vater glücklicherweise nicht eingeholt. Er war ein gern gehabter Gast, auch aufgrund seines Humors und seiner Schalkhaftigkeit.

Am Ende war es ein neuerlicher Sturz, inklusive eines Bruches der Hüfte, der ihn wieder ins Krankenhaus wandern ließ, Dort wurde er operiert, er erholte sich von den Folgen nur für eine sehr kurze Zeit von etwa eineinhalb Tagen, verfiel dann in ein Delirium und konnte keine Nahrung mehr aufnehmen. Ich habe dann um die Rückführung in sein Heim gebeten, wo er dann in unserem Beisein einschlief. Ich glaube, dass er, trotz seines Zustandes, seinen Frieden gefunden hatte. Auf eine Art, bin ich erleichtert, dass ihm die letzte Schleife seiner Erkrankung erspart blieb, auch wenn ich bis zum Schluss immer das Gefühl hatte, er lebt gern, ich hatte immer größte Furcht davor, ihn zu besuchen und erkennt mich nicht mehr.

Was ich glaube, gelernt zu haben:
Demenz in jeder Erscheinungsform ist eine heimtückische, "unfaire" Erkrankung.
Sie nimmt dem oder der Erkrankten, die Möglichkeit, in vielfältigen Bezügen selbstbestimmt zu Handeln und Wahrnehmungen zu vergleichen.
Das scheint Tatsache, jedoch bleiben die Betroffenen oft in ihrem Grundwesen ähnlich oder gleich, vielleicht tut man Unrecht, wenn man das Leiden über alles Andere stellt.

Es kommt schubweise, aber sicher.
Die Erkrankung wird sich in Schüben ihren Weg bahnen. Diese können sich dramatisch äußern, meist rehabilitieren sich die Erkrankten zu einem gewissen Teil. Bei meinem Vater war es erstaunlich, wie oft er sich von kritischen Zuständen zeitweise "zurückgefunden" hat.

Keine Demenz ist gleich.
Wie sehr wohl die Erkrankung auf die Persönlichkeit und Physis zurückgreift, ist wohl rätselhaft, Mein Vater war nie aggressiv, wohl latent depressiv, ob seiner Erkrankung. Aber er war etwa nie besonders umtriebig, bettflüchtig oder streitbar. Mein Vater war koordinativ zeitweise beeinträchtigt, was ihn vermehrt stürzen ließ. In seinem Pflegeheim gab es aber auch erkrankte Menschen, bei denen das genaue Gegenteil der Fall war.

Für an Demenz erkrankte Menschen sind Bezüge umso wichtiger.
Es ist kann sich wie eine Sisyphusaufgabe anfühlen, wenn man einen demenzerkrankten Menschen begleitet. Man glaubt, gehört oder verstanden zu werden, jedoch können sich Hoffnungen sehr schnell auflösen, aber der Erkrankte reagiert extrem auf vertraute Personen und Umgebungen. Man spürt das häufig an Reaktionen, besonders in Zwiegesprächen.

Behandle demenzerkrankte Menschen als gäbe es ihre Leiden nicht.
Wir wissen nicht genau, was hinter dem Schleier des Vergessens vorgeht. Wenn man es also schafft, genau das nicht zum Thema zu machen, ist ein Treffen einfacher, bei meinem Vater habe ich gewisse Dinge hervorlocken können, weil ich davon abgerückt bin, zu fragen, wann genau gerade was passiert war. Er hatte oft Träume mit tatsächlich Erlebtem vermengt (demenzerkrankte schlafen und träumen deshalb oft sehr viel) Stattdessen habe ich dann versucht, das Geträumte auf die tatsächliche Erinnerung zu lenken.

Mache, als Angehöriger, Deinen Frieden mit der Krankheit.
Ich glaube, es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, dass an Demenz erkrankte Personen ihr Schicksal mitverfolgen.
Sie erleben, wie ihre Gedanken und Handlungen gesellschaftlich absurd werden. Dass mit Ihnen "irgendetwas nicht stimmt", darüber sind sich Demenzerkrankte auf eigene Art bewusst.
 
Zuletzt bearbeitet:
T
Benutzer188425  (49) dauerhaft gesperrt
  • #37
Ich würde bei einem begründeten Verdacht auf Demenz zu einem Arzt gehen, vermutlich wäre der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Vergesslichkeit kann auch andere Ursachen haben, das weiß ein Hausarzt, vielleicht kann er einiges schon mal abklären, und gegebenenfalls oder vielleicht auch auf jeden Fall überweist er deinen Vater dann zum Neurologen.

Gerade in den aktuellen Zeiten sind viele Menschen sehr beansprucht. Was wie Demenz wirken mag, kann auch was Psychisches sein. Irgendwie wird oft so getan, als müssten Jahre der Angst und der sozialen Isolation von jedem gleich gut verkraftet werden - was nicht der Fall ist. Auch das würde ich im Auge behalten.

Sollte es eine Form von Demenz sein, z.B. Alzheimer, dann wissen wieder nur Ärzte, wie sich das am besten handhaben lässt. "Aufhalten" ist ein zu großes Wort, es weckt falsche Erwartungen. Man kann es nicht aufhalten. Man kann damit leben, eine Weile lang, und diese Weile ist heute länger als sie es je zuvor war. Es ist eine Krankheit, die das Leben verändert und verkürzt. Dennoch ist es eben auch nur ein Aspekt des Älterwerdens und des Sterbens, das bei uns allem am Tag unserer Geburt schon beginnt.
 
V
Benutzer97853  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #38
HoldenC HoldenC Dein Beitrag nimmt mich sehr mit. Ich schicke dir viel Kraft und Liebe. Du und deine Schwester habt euch so aufopferungsvoll um euren Vater gekuemmert. Das ist nicht selbstverstaendlich. Danke fuer den Einblick in die Krankheit und auch das Teilen von den Dingen, die du gelernt hast. Das kann anderen Betroffenen und Angehoerigen sicher helfen. Ein sehr trauriger Beitrag, aber auch einer, der mich viel Liebe spueren laesst.
 
G
Benutzer Gast
  • #39
G
Benutzer Gast
  • #40
Ich hatte überlegt, ob ich nun hier noch mal schreibe, aber irgendwie beschreibt es den Weg und vielleicht hilft der Bericht Manchem oder Mancher, mit der Erkrankung umzugehen.

Mein Vater ist vor 3 Wochen verstorben. Er hat längere Zeit mit der Krankheit gelebt, auf eine Art sehr würdevoll, wie ich es beurteile, andererseits oft hilflos wirkend und für mein Empfinden, isoliert.

Wie ich beschrieben hatte, mehrten sich die Anzeichen für eine Demenzerkrankung vor etwa 6-7 Jahren. Anfangs waren es Auffäligkeiten oder seltsame Dinge, die er tat, die man als Kauzigkeit im Alter, oder wie man bei uns im Norden gerne sagt, "Tüddeligkeit" abtut, Vergesslichkeit, Verwechslungen, so etwas.
Das Alles hat zu einem großen Teil meine Mutter, seine Ehefrau, versucht zu kompensieren. Mein Vater war in alltäglichen Dingen kein sehr selbständiger Mensch, Vieles wurde Zeit seines Lebens von anderen übernommen, Mahlzeiten oder die Organisation des Haushaltes. In anderen Bereichen, vor allem rund um seine Arbeit und Freizeit, war er sehr selbstbestimmt und zielstrebig. Jemand, der im Leben stand, würde ich sagen.
Mit dem Tod meiner an Krebs erkrankten Mutter, vor etwas mehr als 5 Jahren, brach für ihn dann ein großer Teil des Fundamentes zusammen, auf dem sein Leben, vor allem viele Routinen, basierten, Von da an schwanden nicht nur seine Kräfte und sein stetiger Lebensmut, er war auch in alltäglichen Dingen oft überfordert, seine Krankheit obendrauf.
Für die nächsten etwa 3,5 Jahre gelang es meiner Schwester und mir, ihn zu einem gewissen Grad aufzufangen, ich wechselte meinen Job, in seine Firma, nicht zuletzt, um ihm ein Stück näher sein zu können und ihn besser versorgen zu können, zum Glück war er so weit autark, dass er mit öffentlichen Verkehrsmitteln, seinen Routinen folgend, zur Arbeit fuhr. Den Haushalt und seine alltägliche Versorgung hatten meine Schwester und ich unter uns aufgeteilt.

Alzheimer — wurde ihm währenddessen im Zuge einer Untersuchung durch die Hausärztin und später durch einen Neurologen diagnostiziert — ist eine heimtückische Krankheit, Sie äußert sich volatil, ist wenig vorhersagbar und tritt in gewissen Schüben auf. Sind die ersten noch zum Teil vergleichsweise harmlos und wirken etwas harmlos schrullig, so ändert sich das mit der Zeit, vor allem, was die Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit des Erkrankten betrifft. Anfangs hatte ich irgendwann damit, ihn die Treppe hinunterzubegleiten, wenn er auf die Toilette musste, später waren Tageswindeln vonnöten,
irgendwann war er in so weit inkontinent, dass es waghalsig war, auf einen längeren Ausflug zu gehen, sei es auch nur, um en Enkeln beim Fußballspielen zuzuschauen, was er immer liebte.

Was uns in dieser Zeit sehr geholfen hat, war die das Ergebnis durch eine Beratungsstelle für Angehörige von Alzheimererkrankten. Es ist, angesichts der Interaktion mit dem Erkrankten, nicht immer einfach, gelassen zu bleiben oder die Befindlichkeiten des Erkrankten zu deuten. Manches erscheint einem als Trotz oder Starrsinn, manchmal fühlt man sich vorgeführt oder nicht wahrgenommen, obschon man glaubt, sich viel Mühe gegeben zu haben, Letztendlich ist es nicht einfach, sich in die Welt eines Jemanden zu versetzen, der plötzlich hilflos wirkt, in Situationen, die eben noch kontrollierbar erschienen. Ich hatte da so meine Momente, als ich z.B. meinen Vater, der die Orientierung verloren hatte, über einen vollbesuchten Jahrmarkt geleiten musste, in Erinnerung daran, dass ich als Kind über eben diesen Jahrmarkt an seiner Hand lief. Es hilft mir ein bisschen, das so zu sehen, dass, was er getan hatte, seinerzeit, um mich zu beschützen, für ihn zu tun.
Wie auch die Kernaussage der Beratung, "Demenz kennt keine Gefühle". Anfangs reagierte ich manchmal abweisend, vielleicht sogar ärgerlich, wenn er mir irgendeinen Kauderwelsch erzählte, von längst vergangenen Dingen, die er in neue Zusammenhänge setzte, oder Dinge behauptete, die absolut nicht zutreffen konnten, er reagierte dann nie störrisch, sondern eher "ertappt" und versuchte seine Gedanken zu ordnen oder abzutun. Mit der Zeit lernte ich, darauf einzugehen, zu fragen, was ihn auf diese Gedanken gebracht hätte und was er dabei fühlte. So entspann sich dann oft ein Gespräch, dass mich tiefer hinter den Schleier seiner Demenz schauen liess.

Dreieinhalb Jahre nach dem Tod seiner Partnerin und des, so gut es möglich war, umsorgten Alleinlebens durch meine Schwester und mich, mehrten sich die Einschläge in Formen von Schüben. Zunächst wirkte er immer orientierungsloser, auch in vertrauten Umgebungen, Einmal war er nicht zum vereinbarten Treffpunkt erschienen, ich schloß die Wohnung auf und fand ihn apathisch auf dem Fußboden liegend. Ein anderes Mal alarmierte uns die Nachbarin, er habe das Haus in Schlafkleidung verlassen. Es mehrten sich die häuslichen Stürze, in der Wohnung, in der er seit über 40 Jahren lebte, verwechselte er die Türen.

Nach einem heftigen Schub er war gestürzt und ich las in nach ca. 2-3 Stunden auf, er unfähig eigenständig zu laufen, beschloß ich, den Notarzt zu rufen. Die Sanitäter trafen ein, wirkten bemüht, nicht besonders engagiert, aber immerhin bemüht und erklärten, dass dieses eigentlich kein Fall für besondere weitergehende Versorgung darstelle. Eine Erfahrung, die ich daraufhin weitere Male machen musste. Wer demenzerkrankt ist und nicht weiß "was gespielt wird" hat sein Stigma, nach dem Motto, da ist keine klare Anamnese möglich. Trotz alledem möchte ich klarstellen, Sanitäter und Pfleger waren in diesen Dingen immer noch um ein Vielfaches teilnahmsvoller als die oft jungen behandelnden Ärzte. Das ist weniger ein Vorwurf an die jeweiligen Personen, sondern eher an die Verantwortlichen für ein Gesundheitssystem, das sich in erster Linie an wirtschaftlichen, denn an karitativen Anforderungen ausrichten muss. Das alles in Zeiten der Pandemie um ein Weiteres potenziert,

Bei einem neuerlichen Schub, beschlossen meine Schwester und ich, im Wechsel zeitweise zu ihm zu ziehen (immer den Satz im Ohr "Lassen Sie den Erkrankten so lange wie möglich in seiner ihm vertrauten Umgebung") und uns zeitgleich nach einem Platz im Pflegeheim umzusehen. Als ich bei meiner Tagschicht bei meinem Vater zugegen war, erlitt er im Bett einen für mich komplett beängstigenden Anfall, er wirkte völlig apathisch, schlug sich in einer Art Agonie die Hände vors Gesicht und rief nach meiner Mutter. Ich dachte wirklich, der stirbt mir jetzt. Ich hatte wirklich Schiss und rief den Notarzt. Lapidare Frage: "Worum gehts denn?" Ich hatte erst versucht, zu erklären, was ich erlebt hatte, aber das führte zu weiteren Gegenfragen (und das ist keine Kritik an den handelnden Personen, siehe weiter oben), bis ich äußerte, "mein Vater hat eine Herzinfarkt!". Keine 8 Minuten später bahnten sich die Sanis den Weg durch das Treppenhaus (Kleiner Lifehack, hier, Demenz immer verschweigen, soweit möglich, Demenzpatienten nimmt niemand ernst, außer denen, die wissen, was es damit auf sich hat und die die entsprechende Geduld aufbringen,).

Mein Vater war dann im Krankenhaus seinem Schicksal überlassen. Durch die Pandemieverordnungen, waren Besuche nicht möglich, zwischenzeitlich wechselte er zwischen Handchirurgie- und HNO-Klinik in die Augenklinik, Coronabedingt, Besuch untersagt. Währenddessen versuchten wir einen Pflegeheimplatz, im wahrsten sinne des Wortes. zu ergattern. In Covid-Zeiten ein echter Lauf, zwei Plätze wurden uns, nach Bedenkenträgerei, abgesagt, weil derzeit demente Patienten, unter Corona-Auflagen nicht vermittelbar seien, sie könnten ja "Läufer" sein und wären deshalb nicht zumutbar.

Letztlich gelang es uns, einen Pflegeheimplatz dank persönlicher Verbürgung einer Angestellten zu organisieren. Für ein halbes, monatliches Vermögen, das mein Vater trotz angemessener wirtschaftlicher Vorsorge wohl nur auf Zeit leisten konnte (trotz einigermaßen vernünftiger Rücklagen, warum muss ein freiwillig Versicherter 2400 Euro monatlich aufbringen, obwohl die Rente die Hälfte hergibt, um die letzten Jahre seines von Arbeit geprägten Lebens, Fürsorge genießen zu dürfen?)

Letztendlich war das Pflegeheim für meinen Vater ein sehr dankbarer Ort. Mein Vater war stets ein sehr kommunikativer und anpassungsfähiger Zeitgenosse. Es fiel ihm nicht schwer, respektvoll mit den Angestellten umzugehen, Die manchmal von Angehörigen berichteten Zorns, Launenhaftigkeit oder Unberechenbarkeit, sie hat meinen Vater glücklicherweise nicht eingeholt. Er war ein gern gehabter Gast, auch aufgrund seines Humors und seiner Schalkhaftigkeit.

Am Ende war es ein neuerlicher Sturz, inklusive eines Bruches der Hüfte, der ihn wieder ins Krankenhaus wandern ließ, Dort wurde er operiert, er erholte sich von den Folgen nur für eine sehr kurze Zeit von etwa eineinhalb Tagen, verfiel dann in ein Delirium und konnte keine Nahrung mehr aufnehmen. Ich habe dann um die Rückführung in sein Heim gebeten, wo er dann einschlief. Ich glaube, dass er, trotz seines Zustandes, seinen Frieden gefunden hatte. Auf eine Art, bin ich erleichtert, dass ihm die letzte Schleife seiner Erkrankung erspart blieb, auch wenn ich bis zum Schluss immer das Gefühl hatte, er lebt gern, ich hatte immer größte Furcht davor, ihn zu besuchen und erkennt mich nicht mehr.

Was ich glaube, gelernt zu haben:
Demenz in jeder Erscheinungsform ist eine heimtückische, "unfaire" Erkrankung.
Sie nimmt dem oder der Erkrankten, die Möglichkeit, in vielfältigen Bezügen selbstbestimmt zu Handeln und Wahrnehmungen zu vergleichen.
Das scheint Tatsache, jedoch bleiben die Betroffenen oft in ihrem Grundwesen ähnlich oder gleich, vielleicht tut man Unrecht, wenn man das Leiden über alles Andere stellt.

Es kommt schubweise, aber sicher.
Die Erkrankung wird sich in Schüben ihren Weg bahnen. Diese können sich dramatisch äußern, meist rehabilitieren sich die Erkrankten zu einem gewissen Teil. Bei meinem Vater war es erstaunlich, wie oft er sich von kritischen Zuständen zeitweise "zurückgefunden" hat.

Keine Demenz ist gleich.
Wie sehr wohl die Erkrankung auf die Persönlichkeit und Physis zurückgreift, ist wohl rätselhaft, Mein Vater war nie aggressiv, wohl latent depressiv, ob seiner Erkrankung. Aber er war etwa nie besonders umtriebig, bettflüchtig oder streitbar. Mein Vater war koordinativ zeitweise beeinträchtigt, was ihn vermehrt stürzen ließ. In seinem Haus gab es aber auch Menschen, bei denen das genaue Gegenteil der Fall war.

Für an Demenz erkrankte Menschen sind Bezüge umso wichtiger.
Es ist kann sich wie eine Sisyphusaufgabe anfühlen, wenn man einen demenzerkrankten Menschen begleitet. Man glaubt, gehört oder verstanden zu werden, jedoch können sich Hoffnungen sehr schnell auflösen, aber der Erkrankte reagiert extrem auf vertraute Personen und Umgebungen. Man spürt das Häufig an Reaktionen, besonders in Zwiegesprächen.

Behandle demenzerkrankte Menschen als gäbe es ihre Leiden nicht.
Wir wissen nicht genau, was hinter dem Schleier des Vergessens vorgeht. Wenn man es also schafft, genau das nicht zum Thema zu machen, ist ein Treffen einfacher, bei meinem Vater habe ich gewisse Dinge hervorlocken können, weil ich davon abgerückt bin, wann genau gerade was passiert war. Er hatte oft Träume mit tatsächlich Erlebtem vermengt (demenzerkrankte schlafen und träumen deshalb oft sehr viel) Stattdessen habe ich dann versucht, das Geträumte auf die tatsächliche Erinnerung zu lenken.

Mache, als Angehöriger, Deinen Frieden mit der Krankheit.
Ich glaube, es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, dass an Demenz erkrankte Personen ihr Schicksal mitverfolgen.
Sie erleben, wie ihre Gedanken und Handlungen gesellschaftlich absurd werden. Dass mit Ihnen "irgendetwas nicht stimmt", darüber sind sich Demenzerkrankte auf eigene Art bewusst.

... danke fürs euer leben (mit)teilen!
 
sanguina
Benutzer149155  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #41
HoldenC HoldenC danke, dass du uns daran teilhaben lässt. Ich habe erst heute deinen Beitrag gefunden.

Mein Lieblingsopa leidet an Parkinson inkl. Parkinsondemenz und manche Dinge, die du beschreibst, nehme ich auch an ihm wahr. Noch ist er aber präsent genug, um zu wissen, dass die Demenz da ist. Und er wird manchmal wütend auf sich selbst, wenn er nicht mehr weiß, ob er gerade von Herrn Meier oder Herrn Huber erzählt und sich später herausstellt, dass es doch Herr Eder war. Es ist ja auch frustrierend, nicht nur für die Angehörigen, sondern vor allem auch für die Betroffenen selbst.
 
axis mundi
Benutzer172636  Planet-Liebe-Team
Moderator
  • #42
aber präsent genug, um zu wissen, dass die Demenz da ist.
Das war für meine Oma gefühlt die schlimmste Phase. Die Angst, der Zorn auf sich selbst, weil die Gefühle auf der negativen Seite immer mehr wurden... es war besser, als zumindest dieser Aspekt des Bewusstseins verschwunden war. Danach ging es ihr zumindest deswegen nicht mehr so schlecht.
 
sanguina
Benutzer149155  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #43
Ja, er tut mir da schon öfter ziemlich leid. Er hat mal gesagt, man schaut sich mehr oder weniger selbst beim geistigen Verfall zu und weiß, dass es nicht mehr aufwärts gehen wird.

Daneben noch körperliche Erscheinungen - die Sache mit der Inkontinenz, motorische Feinarbeiten wie Knöpfe öffnen und schließen, Schuhe binden, schreiben klappen nicht mehr so wirklich.

Andererseits sagt er auch: Sein ältestes Enkelkind (ich) wird dieses Jahr 30. Sein Vater hatte kein 30jähriges Enkelkind, als er starb, obwohl der ein paar Jahre älter wurde, als er selbst gerade ist. Er hat viel erlebt, viel gesehen, Kinder und Enkelkinder, Nichten, Neffen und deren Kinder groß werden sehen, und auch, wenn er sich nicht mehr an alles erinnern kann, war er überall dabei. Das ist mehr, als seine ältere Tochter von sich behaupten könnte, wäre sie bei Bewusstsein. Und dem ganzen Frust zum Trotz ist er dafür sehr dankbar.
 
K
Benutzer11466  Beiträge füllen Bücher
  • #44
Ich habe das vor Jahren bei einer entfernten Verwandten mitgekriegt - die fuhr mit dem Zug in die nächstgrößere Stadt und fand auf dem Rückweg den Bahnhof nicht, lief mit größeren Summen Bargeld durch die Gegend, weil "zu Hause werde ich ja beklaut" - was völliger Blödsinn war.

Aktuell kriege ich's bei 'ner 91jährigen Tante mit. Die sitzt zu Hause auf dem Sofa und ruft mich an, sie sei in 'ner 100 km entfernten Stadt und komme nicht nach Hause, fragt immer und immer wieder nach längst verstorbenen Angehörigen und kriegt nix mehr auf die Reihe. Das ging bei der innerhalb von 'nem Vierteljahr und ist echt bitter. (Bevor jemand fragt: Es sind genug Verwandte und Personal in ihrer Nähe...) Und sie ist noch nicht so dement, daß sie gar nix mehr rafft, sprich: Wenn sie glaubt, hilflos zu sein, wird sie unruhig und dreht am Rad...
 
Rory
Benutzer65998  Sehr bekannt hier
  • #45
HoldenC HoldenC Was für ein unglaublich berührender Text. :herz: Danke, dass du deine Gefühle, Erinnerungen und Reflexionen hier geteilt hast, ich habe viel daraus mitgenommen.
 
J
Benutzer189167  (33) dauerhaft gesperrt
  • #46
Leider beschäftigt sich meine Familie aktuell auch sehr viel mit dem Thema und was mir dabei auffällt, dass jeder irgendwie helfen will. Viele versuchen sehr viel Zeit mit meinen Vater zu verbringen, damit sie alle nicht Vergessenheit geraten und ich kann das sehr gut verstehen. Das ist leider auch nicht immer einfach, denn inzwischen merkt man bereits, dass er manchmal verwirrt ist, wenn er bekannte sieht. Er kann sie nicht zu ordnen, obwohl man schon sich schon Jahrzehnte lang kennt. Das ist traurig und keine Lösung zu haben, macht es auch nicht einfach. Ich habe auch immer das Gefühl, dass man damit allein gelassen wird, es wird abgetan, als das man sich daran gewöhnen muss und fertig.
 
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Zauberschnitte
Benutzer189381  Sehr bekannt hier
  • #47
Wir werden immer älter und irgendwann baut der Körper einfach ab.

Das lässt sich leider nicht aufhalten.

Trotzdem kann man Demenzkranken Medikamente und auch Übungen (Demenzambulanz) zum verlangsamen des Prozesses zur Seite stellen

Ich habe insgesamt 3 Angehörige mit Demenz gepflegt. 1 und 2 haben sich geweigert Hilfe anzunehmen. 3 hat es angenommen und hat sehr gut getan.
 
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