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Schule Burnout - ich seh ihn kommen. Auswege? Entscheidungshilfe!

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Benutzer86419  Verbringt hier viel Zeit
  • #1
Hallo an alle,

zunächst: nein, ich bin vermutlich nicht der 21jährige aus dem anderen Burnout-Thema. Dennoch sieht es bei mir nicht viel besser aus, kurz habe ich sogar nachgedacht, wer zum Teufel mich denn aktuell so gut kennt und hier ein Thema über mich schreibt. Aber es kann sich nur um einen ähnlichen Fall handeln.

Zu mir. Ich bin 21, Abiturient und arbeite seit 2 Jahren als Leitender IT-Mensch 500km entfernt von der Heimat. Ich bin da reingeraten, weil ich mich seit meiner Jugend, die total verkorkst und sozial zurückgezogen stattfand, ausschließlich mit Pc beschäftigt habe. Auf Grund von Spezialwissen wurde ich dann trotz fehlender Abschlüsse (ich wollte nie wirklich studieren, sondern lieber sofort arbeiten) eingestellt, direkt als Teamleiter der ganzen IT-Bande.

Nun ist es so, dass ich zunehmend erkennen muss, dass mir die ganze Arbeit keinen Spaß mehr macht, der Sinn schwindet, das Geld egal wird und meine Kräfte und meine Energie im Nirgendwo verpuffen. Ursache davon ist, dass in der Firma ein extremes Wachstum herrscht und wir chronisch unterbesetzt sind. Anfangs habe ich der Philosophie (wir sind ein Achter-Boot, rudern aaber nur mit 4 Mann, irgendwann kommt schon die Besserung) viel Vertrauen geschenkt, vollsten Einsatz gezeigt und Spaß gehabt. Auch in meiner Rolle als Teamleiter bin ich aufgegangen. Mittlerweile ist es aber an verschiedensten Stellen extrem geworden, ich möchte hier nur mal einiges auflisten, was mir den Spaß am Arbeiten drückt und meinen Burnout fördert:

- Neue Unternehmensstruktur. Die Chefs machen weniger "harte" Arbeit, sondern verwalten mehr. Dabei ist zu sehen, dass immer mehr dumme Sprüche kommen, also Controlling und Wichtigtuerei, v.A. weil es zwei Chefs sind (einer älter, einer ganz jung, erst vor 4 Jahren als Praktikant direkt als Mitgesellschafter übernommen!)

- Krönung: Fehler werden sofort offen in den Raum auf die Mitarbeiter geschoben. Dabei verursachen die Chefs teilweise selbst Fehler, weil sie aktiv in Workflows eingreifen. Entschuldigungen gibt es nicht, Nachgedacht über die Art von Kritik wird auch nicht

- Es herrscht eine "Es gibt keine Ressourcen und wir wissen, dass es dadurch Probleme gibt, wir aber nicht besser sein können. Aber wir müssen besser sein!"...Also so nach dem Motto: Mehr geht nicht, aber macht mal noch mehr!

- Ich rede seit ich dabei bin gegen eine Wand, was langfristige Entlastung betrifft. V.A. was meinen Bereich angeht. Es wird über 3 Monate diskutiert, welches Projekt wie aussieht, ohne mich mal zur Technik zu befragen. Dann kommt 1 Woche vor Deadline, die im ersten Vertragsentwurf stand, der Auftrag an mich. Und die Technik ist nicht bereit, weil niemand gefragt hat. Dann sitze ich bis nachts 2 Uhr und prügel notdürftig das Projekt zusammen. Dann noch der Hinweis: Wenn wir nicht ausgiebig testen, fliegt uns alles später um die Ohren. Dann heißt es: Das Risiko gehen wir ein. Was passiert nach 1 Monat? ICH mache nochmal Überstunden deswegen. Bekomme folgende Aussage immer wieder zu hören: "Wir müssen das vorher testen...ja, es lag am Test, aber es darf nicht passieren."...Dann wird der Fehler wieder nur unter Zeitdruck erledigt und eine Mail an den Kunden geschickt, dass es NIE wieder irgendeinen Fehler gibt. Was passiert am nächsten Tag? Fehler! Fehlerbehebung konnte nicht getestet werden. Eine unendliche Spirale, der man nie Herr werden kann.

- Die Chefs sind Lernresistent. Egal, wie man beratend vorgeht, es kommt nix an. Und die Ergebnisse badet die Belegschaft aus.

- Die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt: Ich soll Bewerbungen durchsuchen und einen Mitarbeiter finden, aber ich habe keine Zeit dafür und 99% sind unqualifiziert. Ich habe zwar schon einen neuen Mitarbeiter bekommen, der 3 Tage die Woche arbeitet, aber dafür sind auch neue Projekte gekommen - keine Entlastung

- Ewig Versprechen. Gehaltserhöhung. Besserung. Irgendwann. ... ich kanns nichtmehr hören. Es wird die Ansicht vertreten, dass wir uns jetzt den ***** aufreißen, damit später neue Mitarbeiter uns den Rücken freihalten und wir "kernteam" uns zurücklehnen. Doch wann soll das sein? In 5 Jahren?

- Personalbewertungen wurden eingeführt. Dabei gab es, trotz dass ich nahezu pausenlos und mit größter Sorgfalt unter den Umständen arbeite, immernoch viel zu meckern, obwohl ich ein sehr gutes Gefühl hatte. Man soll immer mehr bringen, obwohl man schon alles gibt.

- Andere sind auch betroffen. Ein anderer Kollege arbeitet noch mehr wie ich. Dieser ging letztens auch mit Kopfschmerzen nach hause, treibt keinen Sport, raucht, nennt sich Workaholik und ruht sich darauf aus, dass er schon 5 Jahre "durchhält" und es ja "gemacht werden muss". Er glaubt, dass er seine mehrere Wochen, nicht offiziell notierten Überstunden, irgendwann vergütet bekommt.

- Thema Überstunden: Ich habe schon alles versucht, um meine Situation zu bessern. Meine größte Errungenschaft war, eine Überstundenregelung mündlich zu vereinbaren. Ich darf nun immer freitags alle Überstunden der Woche absetzen. Soll ich euch mal zeigen, wie die grafische Darstellung der Überstunden aussieht? Steigende Kurve auf mehrere Tage. Nix mit Freitag. Und es gibt Freitage, an denen ich nichtmal absetzen darf, weil ja das Büro sonst unterbesetzt wäre (dabei ist es mir doch egal, ob die anderen Abteilungen keine Ressourcen haben. Reicht zu, dass meine zu wenig hat und quasi nur aus mir besteht).

- Urlaub: Musste schon mehrmals abgesagt oder verschoben werden, obwohl bestätigt und fest eingeplant. Warum ich es zugelassen habe? Aus Angst, dass ein Projekt flöten geht. Mein tadelloses Einsatz-Retter-Gutmensch-Image leidet. usw.

- Zusammenarbeit mit Nieten. Ich plane ein Team, was aus Studenten, Halbarbeitern und ebenfalls Burnoutbefallenen besteht. Es ist unmöglich, da Qualität zu gewährleisten. Geschweige denn, Planung durchzuführen und sich auf irgendetwas zu verlassen.

- Urlaub/Wochenende: Anrufe wegen Notfällen. Teilweise rufen die Chefs wegen sinnlosen Sachen mehrmals am Tag an, weil sie wie kleine Kindern nicht eigenständig auch nur ansatzweise nachdenken, bevor sie meine Nummer wählen. Im Urlaub ist jeder 2. Tag ein Tag, an dem ich den pc anmachen und Notfälle beheben muss. Trotz Urlaubsvertretung.

- Arbeit an sich: Zu Beginn war es so, dass ich eine Mischung aus der Pflege von alten Projekten, Kundenkontakt und spannenden Neuprojekten hatte. Es gab mehr Zeit für langfristige Planungen und Eigeninitiative. Mittlerweile ist es vollkommen anders geworden. 80% der Arbeitszeit arbeite ich wie eine Maschine, um alte Fehler zu beheben und in dem giftigen Haufen, der durch das wachstumsorientierte Projektmanagement entstanden ist, zu wühlen. Neue, spannende Projekte gibt es kaum noch und wenn, dann mit unrealistischen Timings. Teils gibt es auch absolute realitätsferne Projekte. Derzeit soll ich ein Projekt, was höchstens etwas Geld durch Werbung einbringt, umsetzen, damit dieses an einem Wettbewerb teilnehmen kann. Doch die Abstimmung für den Wettbewerb ist schon am Laufen, eine Teilnahme nichtmehr möglich. Da frage ich mich ernsthaft, ob denn alle den Verstand verloren haben. Irgendwann fliegt die ganze Technik mal um die Ohren. Einige Hardware ist 10 Jahre alt und müsste dringend ausgetauscht werden. Ich habe schon angefangen, da einige Bereiche zu optimieren, damit wir länger "überleben", aber durch den hohen Zeitdruck wuchert das Chaos weiter.

- Emotionalität. Ich reagiere zunehmend emotional. Reagiere direkt auf Kritik, wirke bei Notfalltelefonaten sehr ernst und lebe in einer Mischung aus gutem Kollegenverhältnis und aufgesetztem Humor, aber gleichzeitig häufiger Gereiztheit und Aggressivität, wenn es unaushaltbar wird.

- Ich leide. Körperlich. Seelisch. Bin unzufrieden, kann nichtmehr am Pc arbeiten. Gehe nichtmehr gern auf Arbeit. Werde als "viel lustiger als früher" wahrgenommen, da ich zynisch bin und mir den Spaß am Arbeiten "erzwinge" durch Humor. Hangel mich von WE zu WE. Bin zu nichts zu bewegen, vernachlässige alles, was ich im privaten Bereich begonnen hatte. Sport ist nicht. Arbeite regelmäßig 10-15h pro Tag. Fühle mich im falschen Job, möchte eher sozial und abwechslungsreich arbeiten.

Mein Arbeitsalltag sieht eigentlich so aus:

- 8:30 aufstehen
- 9:00 Arbeitsbeginn, Mails abrufen und Notfälle versorgen
- 11:00 Unendliche Liste abarbeiten
- 15:00 Mittag in 15 Minuten einwerfen
- 16:00 Notfall
- 18:00 Projekt muss fertig werden. Sitze mit dem Workaholikkollegen noch als einziger im Büro, Chefs sind 17 Uhr gegangen, nachdem sie ihre 2h-Mittagspause verdaut haben
- 20:00 Bierchen holen mit Kollegen, Schönreden der Situation. "Wird alles irgendwann besser"
- 22:00 Meckern, Augen reiben, Kopfschmerzen
- 00:00 Gemeinsames Leiden
- 02:00 Zuhause, Einwerfen einer Wurstpackung ohne irgendwas dazu, Schlafen

Aktuell bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich einfach an der aktuellen Situation zweifle und an eine Kündigung mit Neubeginn denke. Ich könnte mir vorstellen, um Rettungsdienst zu arbeiten, in meiner alten Heimat. zwar auch stressig, aber erfüllend, nicht eintönig, Kontakt zu Menschen, Teamwork, man schleppt keine Kopfgrübelein mit nach Hause, weil man einen Fehler nicht gefunden hat oder seit 1 Monat das selbe Projekt umsetzt.

Ich erhoffe mir hier von euch einen guten Rat, vllt auch Entscheidungshilfe. Es steht gegenüber: Aktuelle Lage, viel Geld oder Neubeginn, Umzug, Ausbildung

Mein Fahrplan könnte so aussehen, dass ich mir eine Ausbildung besorge, kündige, umziehe und dann die Ausbildung durchziehe, um dann in ganz anderem Feld zu arbeiten. Wohnen würde ich kostenfrei oder kostengünstig in der Heimat, ich besitze dort eine Immobilie. Gehalten werde ich hier aktuell nicht. Ich habe keine Freundin mehr und keine Freunde. Nichts. Morgen habe ich frei. Ich will diesen Tag nutzen, Ausbildungswege zu suchen. Erstens um zu wissen, was möglich ist, zweitens als mentale Stütze, das Wissen, dass es einen Ausweg gibt/gäbe. Zusätzlich ziehe ich eine Berufsberatung in Erwägung, vllt gibt es noch andere Bereiche, die mir unbekannt sind, aber meiner natur entsprechen. Der Pc war ja eig. nur ein Ergebnis meiner doofen Kindheit.
Hatte vllt. jemand ähnliche Situationen? Was kann man noch alles tun, wenn man sich nicht sicher ist, wie man ganz von vorn beginnt, die Branche wechselt, nicht genau weiß, was man eigentlich möchte, aber das aktuelle einen kaputt macht?
 
D
Benutzer8458  Verbringt hier viel Zeit
  • #2
was du da schreibst, habe ich am eigenen leibe erfahren. und zwar zu 90% (10% abzug weil ich in 'nem anderen job arbeite ^^). man versucht fair zu sein und sein bestes zu geben. auch in den beschissensten situationen ist man da und trägt seinen teil dazu bei, die firma zu stärken. tatsächlich wird deine grenzenlose loyalität aber nur ausgenutzt.
was du da von nächtlichen uhrzeiten und billigen versprechungen seitens der arbeitgeber erzählst, weckt in mir massenweise déjà-vus. aus solch einem lachhaften "arbeitsverhältnis" auszutreten, war in etwa die beste entscheidung meines lebens. dass du diesen schritt ebenfalls in erwägung ziehst, kann ich nur unterstützen. denn: es wird NIEMALS besser - egal was man dir erzählt.

ich finde, du machst das schon richtig. informier' dich über deine möglichkeiten und beginn etwas neues. und ganz egal was es sein wird - ich wünsch' dir viel spass dabei
 
B
Benutzer30706  Meistens hier zu finden
  • #3
Ich muss Dir hier einfach mal meine Bewunderung aussprechen! Finde das klasse, wie Du nach so einer harten Arbeitswoche an Deinem freien Tag noch die Energie findest und Dich um Alternativen kümmerst.
Dein Job klingt wie der reinste Horror. Immer wieder unglaublich, dass in D sowas möglich ist. Ich drück Dir die Daumen, dass Du etwas findest, das besser zu Dir passt und Dich ausfüllt, ohne Dich auszulaugen. Ob Rettungsassistent da so das Richtige ist, kann ich nach meinem Gespräch mit einem Ehemaligen schwer sagen (laufen wohl einige schlimme Sachen ab, die man nicht so leicht vergisst, auch nach 20 Jahren nicht) - aber fest steht, dass Gehen das Richtige ist.

Ich kann Dir leider keine Tipps geben, aber ich wünsch Dir Glück!
 
lonesome_wulf
Benutzer29032  (39) Verbringt hier viel Zeit
  • #4
Hey,

Es steht gegenüber: Aktuelle Lage, viel Geld oder Neubeginn, Umzug, Ausbildung

was nützt dir dein Geld, wenn du keine Zeit hast es aus zu geben, oder es für beruhigungsmittel, wachmacher und sonstiges ausgeben musst um die Symptome deiner Situation zu lindern. Ich finde auch, du solltest nach nem neuen Job ausschau halten. Ob rettungsdienst das richtige ist kann ich nicht sagen. Aber als freiberuflicher Systemadmin oder Softwareentwickler liese sich bestimmt was machen. Du könntest sogar böse sein und Kunden deines Arbeitgebers ab ziehen.
Ich soll Bewerbungen durchsuchen und einen Mitarbeiter finden, aber ich habe keine Zeit dafür und 99% sind unqualifiziert.
Mal langsam junger man. Du verurteilst Menschen nur nach Ihrer Bewerbung, hast keine Ahnung, was die Leute können oder nicht und arbeitest selbst auch ohne Abschluß. Solche Personaler liebe ich.

Mach doch an deinen freien Tagen mal dein Handy einfach aus. Zwingt dich keiner immer und überall erreichbar zu sein.

btw alternativ könntest du auch kündigen und vom ALG leben. Das würde den Staat weniger kosten, als wenn du ausbrennst und zum Psychischen Wrack wirst, das versorgt werden muss.

gruß wulf
 
H
Benutzer67523  Sehr bekannt hier
  • #5
naja, entweder kündigen oder die Situation zum Guten kehren.
Kündigen finde ich hier schlecht, denn - glaub mir, für einen grossen Teil der Misere bist Du als Teamleiter selbst verantwortlich. Ganz klipp und klar: Wenn Dein Team so überarbeitet ist und so viele Stunden leistest, kommt a.) nicht mehr viel dabei raus und b.) Du hast Deine Pflicht zum Schutz Deiner Leute (und Dir) nicht wahrgenommen.
Auszuprobieren und zu lernen, wie Du das besser machen kannst, ist die nützlichere Erfahrung für Dich, an dieser "wächst" Du mehr.

Hier ein paar Dinge, die sehr gut funktionieren. (Eher für ein Support/Test Team als für ein Entwicklungsteam, Dein Team schaut eher nach ersterem aus)

- Kommuniziere mehr gegen oben. Womöglich wissen Deine Chefs nicht, wie's bei Euch ausschaut. Sag, was Deine Probleme sind. Du lachst vielleicht, aber das ist ein guter Anfang. Das Faktum, dass Deine Bewertung schlechter ausgefallen ist als Du erwartet hast zeigt, dass entweder die Leute mit Dir nicht ehrlich sind oder Du nicht direkt genug nach Feedback fragst. Gehe jede Woche mindestens einmal zu Deinen "Stakeholdern" und sprich mit ihnen: Wie läuft Arbeit X, wie zufrieden seid Ihr mit Mitarbeiter Y? Wenn Du derart massiv überrascht wirst von Deadlines ist das keine Auszeichnung für Dich. Als Teamleiter hast Du hier eine Hohlschuld. Du musst gehen, mit ihnen sprechen, rausfinden, was am Horizont ist, welche Offerten rausgehen, mit welchen ungefähren Wahrscheinlichkeiten daraus Aufträge entstehen, etc.
- Arbeite auf eine "Leistungsvereinbarung" hin. Definiere mit den Chefs, was das Team tun soll. "Zwinge" sie dazu, die Arbeiten zu priorisieren mit dem Grundsatz, dass es keine zwei gleich wichtigen Arbeiten gibt, sondern eben eine Rangliste. Fokussiere auf die wichtigsten Punkte. Etwas, das hier wichtig ist: Es ist viel, viel besser, die wichtigsten Dinge gut zu bedienen und anderes gar nicht, als alles nur mässig. Ziehe Ressourcen ab von den unwichtigen Dingen, schlicht kein Support mehr. Sie werden austicken - aber eben, sie sind nicht wichtig genug. Die zufriedenen, wichtigen Kunden sprechen für Dich aufgrund ihrer Zufriedenheit und haben die Macht aufgrund ihrer Wichtigkeit.
Mach jedem klar, ob seine Arbeit gemacht wird, oder eben nicht gemacht wird.

- Mach es klar, wer jetzt gerade "on call" ist und wer an der Arbeit ist. Stete Unterbrechnungen töten alles.
Trenne diese Mitarbeiter räumlich: Hab eine "Anlaufstelle" für Requests und einen Ort, wo nur gearbeitet wird, ohne Kontakt zu "Kunden" und stell sicher, dass Deine Leute nicht x Unterbrechnungen der Arbeitszeit haben durch Meetings. Mach Meetings vor dem Mittagessen und vor Arbeitsschluss, und sonst nicht.

- Mach den Backlog ("Warteschlange") sichtbar, brauche ein Ticketing-System, damit jeder sieht, was bei Euch läuft und wie's läuft. Führe Buch: Für jeden Task soll notiert werden, wie lange er dauert. Diese Metriken brauchst Du, um zu diskutieren. Dann kannst Du auch genau zeigen, was eine zusätzliche Person bringen würde. Mach die Metriken für jeden sichtbar. (Automatisch auf eine interne Webseite publiziert, etc.) Verpflichte das Team, sich daran zu halten, das alles nur über dieses Ticketing System geht. Kein spontanes in-Anspruch-Nehmen der arbeitenden Leute (ausser Deiner bezeichneten Notfallperson)
Wichtig hier: Denke in technischer Arbeit, argumentiere gegen oben mit Geld und Zeit. Diese Abstraktion musst Du als Teamleiter machen. Chefs wollen nicht technische Lösungen hören, Chefs denken in Geld und Zeit.

- Kürze jedermann's Arbeitszeiten. z.B 8h Durchschnitt, max. 10 am Tag, oder was auch immer. (ich arbeite wesentlich mehr als das, aber ich mach's sehr gerne und brenne bisher nicht aus, und mache vieles für mich von mir aus und nicht auf Request.)

- Führe die Änderungen nicht langsam ein. Kreiere Deine Strategie, rede mit dem Team, rede mit den Chefs. Stell das Team komplett um in einer Woche. Und dann korrigiere und korrigiere. Das Ganze ist vermutlich einfacher als Du denkst, denn: Momentan scheint niemand zufrieden zu sein. Deine Leute nicht, Deine Chefs nicht, Deine "Kunden" nicht. D.h. sie schätzen, dass Du was tun willst.

- Für Dich gibt's hier derart viel Management/Organisationsarbeit zu tun, dass Du Dich aus dem Tech Work nach der Umstellung raushalten solltest.

Du kannst Dir hier sehr viel Mut und Rückgrat antrainieren, und ein Team so zu korrigieren, gibt Dir - gerade in Deinem Alter - eine gute Erfahrung und einen tollen Leistungsausweis. Wenn Du die Stelle wechselst und in ein perfekt geführtes Team kommst, (Teamleiter wirst wohl nicht mehr so einfach, wenn's beim Vorstellungsgespräch klar wird, wie Dein aktuelles Team funktioniert...) bist Du vielleicht zufriedener, aber es hat Dich um eine gute Chance gebracht.

An Deiner Stelle würde ich das Team in Ordnung bringen, es ein Jahr leiten und dann die Stelle wechseln. Dann hast was richtig Nachhaltiges für Deine Karriere getan, jemand, der das mit 21 schafft, kann mit 30 in einer anspruchsvollen Firma im Direktorium sein.
 
G
Benutzer19708  (43) Verbringt hier viel Zeit
  • #6
Ich muss hurryhurryhurry zustimmen, deine genannten Ursachen sind keine tatsächlichen Ursachen sondern viel eher Symptome, dass du deinem Job als Teamleiter nicht gewachsen bist.
Die genannten Vorschläge sind sehr gut, dort würde ich mal ansetzen. Die Arbeit wird zwar nicht weniger, aber entspannter und vor allem konsequenter
 
Subway
Benutzer54399  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #7
Wollte gerade ähnliches wie hurryhurryhurry schreiben.

Es ist natürlich nicht allein deine Schuld, aber direkt als Teamleiter zu arbeiten sehe ich nicht als sonderlich sinnvoll an. Denn dafür gehört einfach mehr als technische IT-Kenntnisse. Wenn es in der übrigen Firma dann genau so abläuft, dort auch andere Stellen mit Leuten besetzt sind, die für ihre Aufgabe nicht wirklich qualifiziert sind, dann endet es eben in so einem Chaos.

Versuch mal weniger der Entwickler zu sein und mehr der Teamleiter. Mehr Organisation, mehr Transparenz. Lies dir ein Buch zu z.B. Scrum durch, damit du eine feste Organisation da rein bekommst, lerne auch mal "nein" zu sagen, weil du die nötigen Ressourcen für eine Aufgabe nicht hast.
 
R
Benutzer86419  Verbringt hier viel Zeit
  • Themenstarter
  • #8
Hallo,

zunächst vielen Dank für die vielen Antworten.

Ich möchte mich im wesentlichen kurz zu zwei mir wichtigen Punkten äußern.

Thema Bewerbungen. Ich weiß sehr genau, wovon ich rede und ich bin kein Personaler. Wenn in den Bewerbungen die Grundlagen der Arbeit gar nicht erwähnt sind, wie soll ich diesen Bewerber dann einladen? Damit ich, basierend auf der Hoffnung, dass er den wichtigsten Fakt nur vergessen hat, in dieser Woche noch mehr Überstunden machen muss, weil mir die Bewerber die Zeit rauben?

Was mein Team angeht, so bedanke ich mich zunächst für die hilfreichen Tips und Vorschläge. Dabei müsste ich vielleicht erwähnen, das mindestens die Hälfte der Dinge bereits umgesetzt wurde oder probiert wurde. Es ist bei mir nicht so, dass ich als purer Abteilungsleiter arbeite. Ich bin eine Arbeitsmaschine, die nebenbei noch andere Arbeitsmaschinen dirigieren muss. Wenn ich reiner Teamführer werden würde, würde die gesamte Firma den Bach runtergehen, da ich 70-80% der gesamten Arbeitsleistung im eigentlichen technischen Bereich trage. Der 3-Tage-Mann ist schonmal ein guter Schritt gewesen und ich fordere seit über einem jahr konsequent mind. 1 volle Stelle. Es gab viele Chancen und gute Bewerber, aber die waren den Chefs jeweils zu teuer. Was soll man da bitte noch machen? Und ich rede mittlerweile sehr offen, ehrlich und intensiv mit den beiden Chefs, um etwas zu bewegen. Da könnt ihr euch sicher sein. Im Gegensatz zu anderen Abteilungen läuft es bei mir eigentlich super, oft kann ich grünes Licht vermelden, während anderswo dicke Luft herrscht, weil kein Fortschritt im Team selbst zu spüren ist oder die Abt.leiter unfähig sind. Das geht aber nur, weil ich mit Überstunden alles abfange und dem Irrtum glauben schenke, dass es sich irgendwann lohnt. Dass ich von dem 1000er mehr, den ich in 5 Jahren bekomme, dann meinen Sarg verzieren kann. Einer wurde erst kürzlich gekündigt. Aber alles, was ich anbringe oder vorschlage geht scheinbar binnen 24h aus deren Köpfen.
Ich kann gar nicht abschätzen, wie oft ich schon gesagt habe, wir brauchen statt einer Prioliste für das Team eine Onlineliste, bei der man alles genau sehen kann. Wir brauchen feste Mitarbeiter, die Studenten müssen weg. Aber es passiert einfach nichts. Entweder sind die Bewerber zu teuer, oder ein wichtiges Nice-to-have-Projekt eines der Chefs hat Vorrang. Ich argumentiere dann oft dagegen "Schöne Idee...aber sollten wir nicht erstmal das und jenes umsetzen? Ich würde das für sinnvoll erachten, weil..."...aber das zeigt keinerlei Einsicht. Auch die Geldschiene habe ich gefahren. Habe ausführlich argumentiert, warum eine frühzeitige Qualitätssicherung wirtschaftlicher ist, als später alles crashen zu lassen.
Genauso die Projekte. Das letzte Projekt, bei dem ich mehrere Tage über 15h gearbeitet habe, wurde im Oktober initiert. Da habe ich schon alles Notwendige vorbereitet und mein Team darauf eingeschworen, dass dieses Projekt kommt. Was ist dann passiert? Es gab TÄGLICH(!) eine neue Vertragsversion, die wesentliche Änderungen enthielt. Die Endfassung kam dann 1 Woche vor der Deadline. Dabei ist das unser wichtigster Kunde. Ihr könnt Gift drauf nehmen, dass ich jede Woche gemahnt und gebittet habe, mir so viel wie möglich Informationen zu geben. Ich rede auch klar über Gefahren von unsicheren Projektabläufen oder Zeitmangel, alles liegt offen und gut sichtbar auf dem Tisch, aber es interessiert einfach keinen.

Auch schlecht ist das eigentliche Team. Es ist wie gesagt mein 3-Tage-Mann und ansonsten nur Studenten oder Leute mit 2 Jobs, die per Telefon gemanaged werden müssen. Die sind dann oft einfach mal am Wochenende privat weg oder, wie jetzt gerade, ebenfalls ausgebrannt. Und mit diesem Team muss ich eine millionenschwere Webpräsenz und Großkunden, die 75% Unternehmensgewinn einfahren, bedienen. Dabei arbeitet jeder Student nur 4 Tage pro Monat.

Die letzte Möglichkeit, irgendetwas zu reißen, wäre eine große Lüge für jeden Tag. Keine Ressourcen hier und da, Projekt kann nicht fertig werden, keine Zeit und einfach nebenbei etwas Sinnvolles machen. Aber bei 80% Arbeitszeit für Notfälle geht das kaum, da diese Kunden bei Kündigung den Gewinn stören. Ich bekomme klare Anweisungen, unter ALLEN Umständen dies und jenes zu tun. Oder mit höchster Prio die Wunschprojekte der Chefs umzusetzen. Wenn ich mich dagegen stelle, kann ich auch gleich kündigen.

Was mich auch massiv stört ist einfach, dass das Teamwork extrem gelitten hat und wir immer mehr wie ein Konzern werden. Als ich vor 2 Jahren anfing, hatte gerade die bisherige Arbeitsmaschine, die das auch nur 5 Jahre nebenbei gemacht hat, gekündigt und die Firma bestand mit mir aus 4 Leuten, 2 Chefs, Projektmanager+ich. Mittlerweile sind wir 10-20 Mitarbeiter, es gibt kein Teamwork mehr, die "wir rudern alle, damit wir irgendwann gewinnen und uns ausruhen"-Philosophie ist sowieso unhaltbar. Überall hört man Gemecker, manche Kollegen essen erst 18 Uhr Mittag, weil es vorher nicht machbar ist. Auch ich sitze oft an einem Notfall und gehen abends vollkommen zittrig "Mittagessen" oder bestelle aus zeitmangel Pizza und Schokolade.
Bzgl. Teamwork und Fairnis gibt es da gravierende Mängel. So wurde ich beispielsweise mit einem weiteren Kollegen zu einem Abstimmungsmeeting bei einem neuen Kunden geschickt. Dort erschien dann eine wichtige Person des KUNDEN nicht. Später gab es ein Chef-Gespräch unter 4 Augen, dass das alles sehr suboptimal verlief und nicht schön war, nie wieder passieren darf usw.. Hallo? Wir wurden von den Chefs zum Kunde geschickt um diesen mit allen Mittel zufriedenzustellen. Die wichtige Person des Kunden wurde von meinen Chefs eingeladen und verwaltet. Warum muss man sich dann sowas anhören, versteht die Welt nichtmehr? Die Krönung war, dass dieses Meeting nochmal Erwähnung im Personalgespräch fand. Warum? Es ist nicht nur, dass man kaum gelobt wird und es mal positive Freudenausrufe wie früher gäbe, sondern man wird regelmäßig für unverschuldete Dinge an die Wand gestellt. Und dafür opfert man Gesundheit, Urlaub und Privatleben.
 
Subway
Benutzer54399  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #9
Dann würde ich ganz klar sagen:
"Sie wollen nicht mit mir arbeiten, also ist hier meine Kündigung."

Du scheinst ja fit in deinem Gebiet zu sein, dann findest du auch etwas neues. Bringt ja nichts für seine Arbeit seine Gesundheit zu riskieren. Man arbeitet um zu leben, man lebt nicht um zu arbeiten. :zwinker:
 
R
Benutzer86419  Verbringt hier viel Zeit
  • Themenstarter
  • #10
Ich bin geheilt von dieser Branche, bin nichtmehr erfreut an der Arbeitsweise im Büro und am Pc. Deswegen werde ich, wenn, etwas ganz Neues probieren. Selbst wenn ich im Rettungsdienst beispielsweise genau so viel arbeite (was ich nichtmal glaube, kenne genug, für die irgendwann körperliche Beschwerden Probleme bereiten, aber nie die Arbeit selbst), so sind wie oben schon geschrieben viele Dinge einfach das, wonach ich mich derzeit sehne, was mir Spaß machen würde. Ich stand noch nie voll hinter dem Bürojob, wollte eher Handwerk oder was Soziales machen, aber der jetzige Job bot mir ein unschlagbares Angebot (da noch ein Element meines Hobbys drin vorkommt und ich mit dem Spezialwissen hätte total aufgehen können). Ich denke die Firma hat eine Beschleunigung, die ihres Gleichen sucht und die 10 jahre alte Technik zeigt, dass es bisher in geringem Maß nie anders war. Schrott und Anfälligkeiten, wohin man blickt. Der Verschleiß an Mitarbeitern wird noch steigen vermute ich, da bereits neue Mitarbeiter, frisch studiert sowie 10 Jahre Berufserfahrung, nach nur wenigen Monaten eine Stimmungskippung hatten, Meckern, "die Wand" der Chefs kritisieren. Man kann, egal wie hoch der Einsatz ist, einfach nichts bewirken in dieser Firma, außer den Geldfluss irgendwie zu erhalten und den Gewinn zu katapultieren, wobei man selbst der Sklave ist, der das Katapult bedient.
 
Subway
Benutzer54399  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #11
Na dann. Hoffe du hast ein wenig was gespart.

Kündigung auf den Tisch und dann erst mal den ganzen übrigen Urlaub nehmen und falls du doch noch arbeiten musst: 8h am Tag, dann ist Feierabend.
 
R
Benutzer86419  Verbringt hier viel Zeit
  • Themenstarter
  • #12
8h am Tag? In meinem Vertrag steht, dass Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind. Ich weiß nicht, wie es rechtlich ist, aber diese Klausel ist sehr dehnbar.
 
Subway
Benutzer54399  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #13
8h am Tag? In meinem Vertrag steht, dass Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind. Ich weiß nicht, wie es rechtlich ist, aber diese Klausel ist sehr dehnbar.

Das kann ich dir leider auch nicht sagen. Rechtliche Beratung ist hier auch nicht erlaubt. Es gibt aber auf jeden Fall eine max. Arbeitszeit pro Tag die nicht überschritten werden darf.
 
R
Benutzer86419  Verbringt hier viel Zeit
  • Themenstarter
  • #14
10h soweit ich weiß. Davon bin ich weit entfernt, das ist fast Standard. Wie gesagt, ich gehe regelmäßig mehrere Tage in Folge von früh um 9 bis nachts 2 Uhr arbeiten.

Habe beim Stöbern gerade folgendes Zitat gefunden:
– Das gilt zunehmend auch für Angestellte in so genannten Sandwich-Positionen: „Das sind Leute mit Pufferfunktion, die die eigentliche Arbeit leisten müssen. Vom Chef bekommen sie gesagt, wo es langgeht. Nach unten müssen sie die Vorgaben bei Kollegen durchsetzen“, sagt Volker Faust, Professor am Zentrum für Psychiatrie der Universität Ulm in Weißenau.
Quelle: Link wurde entfernt

Das trifft genau auf meine Position zu. So ist meine Arbeitsweise, bloß dass ich zusätzlich noch den größten Teil der praktischen Arbeit selbst machen muss. Für eine reine Führungsstelle ist kein Platz bei den Chefs.

Im Grunde ist es einfach so, dass, mein Bauchgefühl befragt, in mir kein Wille zum Fortführen der jetzigen Situation besteht. Ich komme seit 2 Jahren fachlich kein Stück weiter, obwohl es vereinbart wurde, fahre in eine Depression, möchte so nicht weiter leben und fühle mich total runtergewirtschaftet.
Was mir aufgefallen ist, dass körperlich bei mir auch Signale auftreten, die ich bisher missachtet habe. Gelegentliches, kurzes Fiepen im Ohr für etwa 5 Minuten, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, von meinen Pc-gestressten Augen ganz zu schweigen. Ich vergesse Geburtstage und kann mir allgemein nicht viel im Kopf behalten, was den Alltag betrifft.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
R
Benutzer86419  Verbringt hier viel Zeit
  • Themenstarter
  • #15
Ok, ich bedanke mich bei allen, meine Entscheidung nach Rücksprache mit vielen Erwachsenen steht fest.

Ich werde mich jetzt einer Berufsberatung unterziehen, um nicht planlos einen neuen Ausbildungsweg zu beginnen, mache dann mit entweder viel positiver Energie oder bereits einem festen Platz einen gesitteten Abflug in der jetzigen Firma. Mich erleichert dieser Schritt enorm und ich habe zG die Sicht, dass alles gut wird, es keine katastrophe bedeutet und ich nicht selbst versagt habe.
 
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